Hagiograph Somm

Markus Somm, der vor Jahren beim eher liberalen Tagi arbeitete und nun bei der rechtsaussen köppelnden Weltwoche in Lohn und Brot steht, hat merkwürdige 528 Seiten über Christoph Blocher geschrieben – merk-würdig vor allem, weil sich der Autor als Konvertit outet. Aus dem einstigen Kritker wurde ein Hagiograph. Nach traditioneller Berufsauffassung hat der Mann damit seinen Beruf an den Nagel gehängt. Dagobert Lindlau, bis 1992 Chefreporter der ARD, hat einmal von der «Korruption der Anteilnahme» gesprochen: «Wenn du anfängst zu verstehen, kannst du nicht mehr verurteilen, oder schlecht. Du sagst von einem Politiker, das ist ein echtes Schwein, und dann lernst du ihn kennen und erkennst die Zwänge, in denen er steckt, und fragst dich, wahrscheinlich hätt’ ich das selbst nicht anders gemacht, sehr gefährlich: Du wirst korrumpiert durch Verstehen. Die Distanz, die man als Journalist braucht, die aus Selbstgefälligkeit kommt, ist schwer zurückzuerobern. … Es gibt und es muss geben einen Antagonismus zwischen Politiker und Journalist. Dass sich Politiker und Journalist in den Armen liegen, gibt es nur in totalitären Staaten. Es ist gesund für den Stoffwechsel eines Staates, wenn Politiker und Journalisten sich nicht einig sind.» Mehr ist dazu nicht zu sagen.

Littmanns chinesischer Veloladen

1997 kaufte der Basler Kunst-Unternehmer Klaus Littmann auf Pekinger Strassen zehn dreirädrige Lasten-Fahrräder. 2008 erstand er – zum Teil unter bizarren Umständen – 24 weitere. Einen Teil dieser Tricycles – 18 im «Originalzustand», als eine Art Readymades, und 16 von Künstlern verfremdete – sind vom 11. Februar bis zum 19. April 2009
im Museum Tinguely in Basel ausgestellt. So spassig sich die Fahhrad-Parade neben Tinguelys Maschinen ausnimmt und so schnell sich die Erinnerung an Jean Tinguelys und seiner Freunde Umzug vom Atelier an der Pariser Impasse Ronsin zur «Galerie des 4 saisons» am 14. Mai 1960 einstellt: so wahnsinnig aufregend, wie die Schau angepriesen wird, ist sie nicht. Selbstverständlich machen diese urtümlichen Velos ohne ordentliche Bremsen und Gangschaltung einen exotischen Eindruck. Und, ja: Die eingeladenen Künstlerfreunde Klaus Littmanns haben sich alle Mühe gegeben, mit den Rädern etwas Originelles anzustellen. Richtig gut gelungen ist das allerdings nur in anderthalb Fällen. Halbwegs reüssierte Thomas Virnich – vor allem, weil er handwerklich brillierte: Er kaschierte sein Rad zuerst mit seidenstoff-überzogenem Papiermaché, schnitt die Form dann auf und platzierte den Zwilling kopfüber auf die Ladefläche, sodass nun eine hübsche Chinoiserie zu bewundern ist. Grossartig hat der in Basel lebende Amerikaner Michael Vessa auf sein Fahrrad reagiert. Er motzte das Klappergestell zu einem technisch voll ausgerüsteten, das moderne China perfekt symbolisierenden Gefährt auf und baute es mit viel Liebe zum Detail zu einer mobilen Rednertribüne um: es gibt ein Treppchen zur Plattform hinauf, ein ausklappbares Pültchen fürs Manuskript, Fahnen auf faltbarem Gestänge- insgesamt eine vollendete, aber ganz unaggressive Provokation und ein Aufruf zur Verteidigung der Redefreiheit. Im Gegensatz zu dieser herausragenden Arbeit verstanden viele der beteiligten Künstler die Velos lediglich als Podest oder allenfalls als Synonym für ein beliebiges Transportmittel. Reizvoll ist immerhin zu sehen, wie nah sich Originale und Kunst-Stücke im Einzelfall kommen. Das Garküchen-Motiv kommt zum Beispiel drei Mal vor: zwei Mal echt und einmal westlich nachempfunden. Zu hoffen ist, dass Klaus Littmann, der seine Fahrrad-Schau von Basel aus auf Tournee schicken und auf ihrem Weg noch ausbauen will, künftig noch mehr Künstlerinnen und Künstler findet, die sich wirklich intensiv auf die chinesischen Lastenräder einlassen wollen.

Bilder © Jürg Bürgi (oben), Nils Fisch (unten).