Ilya Kabakov im Kunsthaus Zug

Unter dem Titel «Ich beginne zu vergessen» zeigt das Kunsthaus Zug bis zum 17. August 2014 Gemälde, Zeichnungen, Schriftstücke und eine Installation des russischen Künstlers Ilya Kabakov, die zum grössten Teil aus Schweizer Privatsammlungen stammen. Ergänzt wird die Schau durch Arbeiten auf Papier von Vertretern der russischen Avantgarde aus zwei Zuger Privatsammlungen.

Mit der Schweiz ist der Moskauer Avantgardist besonders eng verbunden, seit ihm die Berner Kunsthalle 1985 seine erste Einzelausstellung diesseits des Eisernen Vorhangs ausrichtete. Da er keine Ausfuhrgenehmigung für seine Werke erhielt, musste damals jedes einzeln an zuverlässige Adressaten verschickt werden, die es dann nach Bern weiter spedierten. Auch der Künstler selbst erhielt keine Reisegenehmigung. Indem er er zur Zeit der Vernissage in einem Wald bei Moskau ein Band durchschnitt, machte sich der damals 52-jährige symbolisch zum international beachteten Maler. Es war unter anderen Kunsthalle-Präsident (und bis 1984 Staatssekretär) Paul R. Jolles (1919 - 2000), der ihm weitere Kontakte zu Sammlern und Förderern verschaffte, nachdem Kabakov und seine Frau Emilia 1986 die Sowjetunion verlassen konnten.

Die aktuelle, von Matthias Haldemann zusammen mit dem Künstlerpaar eingerichtete Ausstellung im Kunsthaus Zug ist zweigeteilt. Sie zeigt Arbeiten aus den frühen Jahren, in denen sich Kabakov mit ironischer Distanz den Widerwärtigkeiten des sowjetischen Alltags widmet, und den Zyklus von Gemälden aus dem Jahr 2010, die sich collage-artig mit Erinnerungsfetzen aus der Zeit des sozialistischen Realismus und der Sowjetpropaganda befasst.

Auf den Gemälden des zehnteiligen Zyklus «Collage of Spaces» aus dem Jahr 2010 collagiert Kabakov raffiniert aus dem Alltag gezupfte Szenen mit sowjetischer Propgandamalerei zum Lob der Werktätigen in der Stadt und auf dem Land. Da werden zwar Geschichten angedeutet, aber sie sind eben aus dem Zusammenhang gerissen.

Der Titel «Ich beginne zu vergessen» ist demnach offensichtlich paradox gemeint: Kabakov hängt an seinen Erinnerungen – nicht nur an die Unfreiheit, an die lächerlichen Repressionen, sondern auch an seine Familie, an die Mutter, an die Tanten – und malt, um sie in der Gegenwart lebendig zu erhalten. Während in den älteren Arbeiten geschriebene Worte und Dialogfetzen eine wichtige Rolle spielen, kommen die neuen Werke ohne Kommentare aus.

Die Reminiszenzen beginnen mit Bildern aus der Zeit der Gemeinschaftswohnungen. Da hängt zum Beispiel ein Flaschenreiniger an der schmutzig-grünen Wand der Küche. Und am oberen linken Bildrand stellt eine Anna Prochorowna Sobina die Frage «Wem gehört, dieses Bürstchen?» Und Boris Michailowitsch Polesin antwortet: «Anna Prochorowna».

Auf einem anderen Grossformat ist – offensichtlich zu Händen einer anonymen Hausverwaltung (und damit der Staatssicherheit) – aufgelistet, wer am Sonntagabend zu Besuch weilte: Name, von…bis. Was normalerweise routinemässig auf einen Zettel geschrieben wurde, wird uns hier als monumentales Zeugnis der Unfreiheit entgegen gehalten.

Da Ausstellungen der Avantgarde zu den bleiernen Sowjetzeiten nicht in Frage kamen, erfand Ilya Kabakov in seinem, in der hintersten Ecke eines vergammelten Dachbodens einer Moskauer Mietskaserne eingerichteten Atelier die Form der Alben. Die handlichen Leporellos konnte er zu den Treffen der Kollegen mitnehmen und sie herumzeigen. Der Austausch in Künstlerkreisen war allerdings nicht so rege, wie wir Wehster uns das vorstellen. Zeitzeugen berichten bedauernd von Einzelgängern, die sich verbissen ihren eigenen Projekten widmeten und die Arbeiten anderer zur Kenntnis nahmen, ohne sich auf kritische Auseinandersetzungen einzulassen.

Um sich künstlerisch mit dem Erbe der russischen Avantgarde der Revolutions- und Nachrevolutionszeit zu befassen, erfand Kabakov nach seiner Emigration als sein Alter Ego die Maler-Figur des Charles Rosenthal, der in seinen Werken versucht, eine Brücke zwischen den Modernisten und dem sozialistischen Realismus zu schlagen, weil er sich angeblich nicht für eines der beiden Konzepte entscheiden. Deshalb gibt es auf seinen Bildern immer beides: eine realistische Szene und ein Stück reiner suprematistischer Malerei. Die Konfrontation pflegt er durch eine grosszügig bemessene weisse Fläche zu mildern.

Die Ausstellung in Zug zeigt Kabakovs malerische Anfänge und dokumentiert seine Rückkehr zur Malerei in jüngster Zeit. Konzeptuelle und skulpturale Arbeiten, die ihn als Erfinder eines eigenen utopischen Kosmos bekannt machten, der sich sowohl von der Vergangenheit als auch von der Zukunft inspirieren lässt, fehlen – bis auf das Frühwerk «Konzert für eine Fliege» – ganz. Das muss man wissen, um keine falschen Erwartungen zu hegen. (Wer Kabakovs jüngste Konzept-Kunst kennenlernen wollte, hätte bis zum 22. Juni nach Paris reisen müssen, wo im Grand Palais an der Monumenta 2014 auf 30’000 Quadratmeter die Utopie «L’ Etrange Cité» zu sehen war.)

Kabakov, schreibt der Zuger Ausstellungsmacher Matthias Haldemann, gilt zwar als einer der bedeutendsten Künstler der Gegenwart, zumal seine Werke die Brücke zwischen der inoffiziellen Kunst der Sowjetzeit und der Avantgarde des Westens bilden: «Trotzdem wird Ilya Kabakov unterschätzt. In seinen fantasievollen Arbeiten betrachtet er die moderne Zivilisation ohne ideologische Schranken. In ihrer erzählenden Haltung sind die Bilder zugänglich, obwohl sie stets die Frage in sich tragen: Wer hat hier für wen gemalt und weshalb?»

Illustrationen: «Collage of Spaces #10» (Collection Valentin Bukthoyarov © 2014, ProLitteris, Zurich), »Wem gehört das Bürstchen?» (© Pro Litteris 2014), «Charles Rosenthal: Zwölf Ergänzungen zur Theorie des Suprematismus # 2 1926, Kanal» (Privatsammlung Schweiz).