Zwei Berner Bürgersöhne

Praktisch gleichzeitig erhielten zwei aus Bern stammende Publizisten bürgerlicher Herkunft eine Biografie: Der Professor und liberale «Weltchronist» Jean-Rudolf von Salis (oben) und der Kommunist Harry Gmür (unten). Es ist höchst aufschlussreich, die beiden völlig verschiedenen Lebensläufe neben einander zu erkunden und dabei neben dem Trennenden das Verbindende zu entdecken: Hier der extravertierte, nicht uneitle Geschichtsprofessor aus aristokratischem Haus, der sich zeitlebens in der Öffentlichkeit scheinbar leidenschaftslos diplomatisch-vorsichtig ausdrückte; dort der introvertierte, von innerem Feuer brennende, in seinen öffentlichen Rollen als Publizist und Politiker immer kämpferisch auftretende Einzelgänger. Beide gehörten – von Salis mit Jahrgang 1901, Gmür mit Jahrgang 1908 – derselben Generation an.
Beide machten während des Studiums im Ausland für ihr Leben entscheidende politische und kulturelle Erfahrungen. Beide waren – jeder auf seine Weise – unzweifelhaft überzeugte Patrioten. Und beide hatten in ihrem politischen Sensorium einen blinden Fleck: Gmür interpretierte die europäische Einigung nach dem Zweiten Weltkrieg als antikommunistische Verschwörung und übersah die friedensstiftende Idee hinter dem Konzept, während sich von Salis nie von seiner eurozentrischen Perspektive lösen konnte. Die Entkolonialisierung Afrikas, die Harry Gmür mit Enthusiasmus begleitete, lag weit ausserhalb seiner Interessen. Gemeinsam war den beiden ungleichen Zeitgenossen, dass sie in ihren Milieus mit Misstrauen beobachtet wurden. Jean-Rudolf von Salis, der seinen Standpunkt selbst als «liberal-sozial» umschrieb, geriet wegen seiner Distanzierung vom grassierenden Antikommunismus der offiziellen Schweiz und seinem leidenschaftlichen Engagement für eine offene, niemanden ausschliessende politische Debatte in den Ruch, heimlich ein Linker zu sein. Und Harry Gmür machte sich mit der freundlichen und humorvoller Art seines Umgangs mit Andern bei vielen seiner Genossen verdächtig. Der Staatsschutz hatte beide während Jahrzehnten im Visier. Eine ausführliche Besprechung der Biografie Harry Gmürs findet sich hier. Und auch die Rezension des Buchs über Jean-Rudolf von Salis beginnt hier.