Kritischer Blick auf Rousseau

Immanuel Kant brachte den Begriff 1784 auf den Punkt: «Aufklärung ist der Ausgang des Menschen aus seiner selbst verschuldeten Unmündigkeit». Wenn derzeit die Leistungen des Aufklärungs-Philosophen Jean-Jacques Rousseau zu seinem 300. Geburtstag in den höchsten Tönen gewürdigt werden, verschwimmt die präzise Definition des Königsberger Professors zu einem schöngeistigen Rauschen. Die Menschen sollten sich von der Vernunft leiten lassen, nicht von Religion und Aberglauben, hiess einer der Leitsätze, auf den sich die Aufklärer im Kreis der Enzyklopädisten um Denis Diderot verständigten. Das Individuum müsse sich der Fesseln der Tradition entledigen und sich von willkürlichen Machtansprüchen kirchlicher und weltlicher Obrigkeiten befreien. Im Gegensatz zu
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einem Freund Diderot, der diese Grundsätze in aller Konsequenz verteidigte, zog es Jean-Jacques Rousseau vor, immer wieder Kompromisse zu machen. Er verkrachte sich mit seinen Freunden, die ihm seine Eskapaden immer wieder verziehen. Es gehört deshalb zu den Merkwürdigkeiten der Philosophie-Geschichte, dass nicht diejenigen, welche die Prinzipien der Aufklärung kompromisslos vertreten haben, für ihren Mut und ihre Standhaftigkeit bewundert werden, sondern Rousseau, der aus Furcht vor dem Jüngsten Gericht viele seiner Überzeugungen preisgab. Seine geschmeidige Anpassung an das bourgeoise Mittelmass machte seinen Erfolg nachhaltig. Gemässigte Aufklärer wie Kant, Voltaire und Rousseau wollten Vernunft und Rationalität auf die Wissenschaften beschränken und das Volk nicht mit Religionskritik erschrecken, wie es die radikale Fraktion für notwendig hielt. Den Freundeskreis der radikalen Aufklärer um Denis Diderot, dem auch Jean-Jacques Rousseau eine Zeit lang angehörte, rettet ein ausgezeichnetes Buch des Kulturpublizisten Philipp Blom aus der Vergessenheit. Eine ausführliche Geschichte über das Buch gibt es hier.

Blom, Philipp: Böse Philosophen. Ein Salon in Paris und das vergessene Erbe der Aufklärung. München 2010 (Hanser). 400 Seiten. € 24.90. Eine Taschenbuchausgabe erscheint 2013 bei dtv.