Gauri Gill zeigt Geburt und Tod in Rjasthan

Porträt A
Mit 17 grossformatigen Bildern der indischen Fotokünstlerin Gauri Gill setzt das Museum Tinguely in Basel vom 13. Juni bis 1. November 2018 die Reihe von Ausstellungen im Vorraum des 2017 neu installierten «Mengele-Totentanzes» fort. Gauri Gill, 1970 in Chandigarh geboren und in New Dehli sowie in den USA ausgebildet, begann 1999 den indischen Bundesstaat Rajasthan im Nordwesten des Subkontinents zu bereisen. Das Gebiet, das fast so gross ist wie die Bundesrepublik Deutschland, wird von rund 67 Millionen Menschen bewohnt. Besonders der an Pakistan grenzende, von der Thar-Wüste geprägte Landstrich ist nach offiziellen Angaben «relativ unfruchtbar und trocken». Die Bewohner betreiben Landwirtschaft so gut es der karge Boden zulässt. Die Zahl der Analphabeten ist überdurchschnittlich hoch; im ganzen Gliedstaat kann ein Drittel der Erwachsenen nicht lesen und schreiben. Gauri Gill ärgerte sich auf ihrer ersten Reise zwar über die Rückständigkeit der Gesellschaft, wo sie Lehrer beim Prügeln ihrer Schüler zusehen musste, aber sie war auch fasziniert vom Stolz und von der Stärke der einfachen Menschen, vor allem der Frauen, unter denen sie bald Freundinnen gewann. Indem sie mit und bei den Bewohnern lebte, lernte sie das harte Leben aus eigener Anschauung kennen. Und schon bei ihrem zweiten Besuch begann sie, den Existenzkampf dieser teils sesshaften, teils nomadisierenden Bauernfamilien zu dokumentieren. Aus den «Notes from the Desert», wie sie das Archiv von mittlerweile 40’000 Fotos nennt, stellt die Künstlerin thematische Portfolios zusammen. Die 17 jetzt im Vorraum zu Tinguelys «Mengele Totentanz» von 1986 ausgestellten Werke gehören zur Serie «Traces». Sie dokumentieren individuelle, mit den ganz bescheidenen, in der Natur vorhandenen Mitteln gestaltete Grabstätten in der Wüste, welche die Fotografin mit Verwandten Freunden der Verstorbenen besuchen durfte. Nur wenige – muslimische – Gräber sind mit einem Grabstein und einer Inschrift versehen. Die Mehrheit sind simple – oft in runder Form angelegte – Erinnerungsorte an junge und alte Menschen. Viele der Gräber sind nur den Angehörigen vertraut, weil sie dort Gegenstände deponierten,
Installationsansicht schmal
die an die Toten erinnern – sei es, weil sie ihnen besonders lieb, oder sei es, weil sie ihnen ein Leben lang von Nutzen waren. Es ist absehbar, dass die Gedenkstätten, die Wind und Wetter ausgesetzt sind, mit der Zeit verschwinden oder nicht mehr gefunden werden. Als Kontrapunkt zu diesem gänzlich unsentimentalen Totentanz setzt Gauri Gill acht Bilder aus der «Birth Series», Dokumente einer Hausgeburt in einer einfachen Lehmhütte. Die engagierte Feministin und erfahrene Hebamme Kasumbi Dai wollte der Fotografin zeigen, wie sie in dem abgelegenen Dorf Ghafan in der Provinz Motasar hygienisch fortschrittliche Methoden anwendet. Sie brachte eine Kunststoff-Plane und sterile Instrumente mit. Aber die Gebärende, die Enkelin der Geburtshelferin, lehnte das neumodische Zeug ab und gebar ihr Kind nach traditioneller Art, halb sitzend in eine zwischen ihren Beinen aus dem Lehmboden gebuddelte Kuhle, wo das Neugeborene auch abgenabelt wurde. Geburt und Tod, zeigt die Ausstellung auf eindrückliche Weise, gehören zusammen – nicht nur bei den armen Bauern im indischen Gliedstaat Rajasthan.

Illustrationen aus der Ausstellung: ©2018, Jürg Bürgi, Basel.