Charmion von Wiegand im Kunstmuseum Basel

Charmion von Wiegand 1961
Im Kunstmuseum Basel, das ihr vom 23. März bis 13. August 2023 eine monografische Ausstellung widmet, präsentieren die Kuratorin Maja Wismer und der Kurator Martin Brauen die amerikanische Journalistin, Kunstkritikerin und Malerin Charmion von Wiegand (1896-1983) unter dem Titel «Expanding Modernism» als lebenslange Sinnsucherin. Die Tochter des legendären Kriegsberichterstatters und rasenden Reporters Karl Henry von Wiegand (1876-1961) verbrachte ihre Kindheit und Jugend an verschiedenen Orten in den USA und – bis 1915 – in Berlin, wo der Vater für Publikationen des Verlegers Randolph Hearst tätig war. Zurück in den USA, studierte sie zunächst ein Jahr am Barnard College in New York, einer 1889 gegründeten privaten Bildungsstätte für Frauen, und belegte anschliessend an der Columbia University Kurse in Kunstgeschichte und Journalismus. 1919 heiratete Charmion von Wiegand den Geschäftsmann Hermann Habicht. Durch ihn kam sie in Kontakt mit dem Lyriker Hart Crane (1899-1932) und der literarischen Avantgarde, in die von esoterischen Themen fasziniert ist. Charmion schreibt Theaterstücke, beginnt eine Psychoanalyse und interessierte sich durch Vermittlung des italienischen Malers Joseph Stella (1877-1946), neben Hart Crane eine ihrer künstlerischen Leitfiguren jener Jahre, für den Futurismus. 1928 stellte sie im Rahmen der «Independent Show», eine amerikanische Version des Pariser «Salon des Indépendents», zum ersten Mal eigene Gemälde aus. Nach der 1929 erfolgten Scheidung von Hermann Habicht zog Charmion von Wiegand als Kulturkorrespondentin des Hearst-Konzerns nach Moskau. Sie war vom Kommunismus begeistert, las die einschlägigen Schriften von Marx, Engels, Lenin und Trotzki. Die Kunst, war sie nun überzeugt, musste im Dienste des Volkes stehen. Als sie 1932 in die USA zurückkehrte, heiratete sie den in der Ukraine geborenen Journalistenkollegen Joseph Freeman (1897-1965), der seit 1927 die kommunistische
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Zeitschrift «New Masses» herausgab und 1934 das zeitweise einflussreiche linke Kulturblatt «Partisan Review» mitbegründete. In den Jahren der Weltwirtschaftskrise unterstützte das Ehepaar neu entstehende Organisationen von Künstlerinnen und Künstlern. Spätestens mit dem Hitler-Stalin-Pakt hatte sich die kommunistische Illusion in Luft aufgelöst. Joseph Freeman sagte sich von der KP los und arbeitete freischaffend für liberale Magazine («The Nation», «Fortune») und die Illustrierte «Life». Und gleichzeitig befreite sich die amerikanische Kunstdebatte von den ideologischen Fesseln, die sie in den dreissiger Jahren eingeengt hatte. Als Entfesselungskünstler wirkte der Kritiker Clement Greenberg (1909-1994); sein Stunt in der «Partisan Review» trug den Titel «Avant-Garde and Kitsch» und wurde zur theoretischen Grundlage der Kunstrichtung des abstrakten Expressionismus. Charmion von Wiegand arbeitete derweil mit dem in Deutschland geborenen Maler Carl Holty (1900-1973) an einer (nie vollendeten) Geschichte der abstrakten Kunst. Holty der seit 1930, als er in Paris zur Gruppe «Abstraction-Création» gehörte, mit Piet Mondrian befreundet war, vermittelte den Kontakt zum emigrierten Holländer. Fasziniert von seiner neoplastischen Kunst, die sich vom Getriebe der Metropole New York eine höhere Stufe der Abstraktion eroberte, pflegte sie regelmässigen Kontakt. Sie war es, die ihn in die New Yorker Kunstszene einführte, sie redigierte seinen theoretischen Essay «Toward a True Vision of Reality», sie publizierte «The Meaning of Mondrian» im «Journal of Aesthetics», die erste umfassende Darstellung aus amerikanischer Perspektive. Und Charmion von Wiegand soll es gewesen sein, die Mondrian darauf brachte, Gemälde seiner New Yorker Zeit mit farbigen Klebestreifen zu versehen. (Es ist allerdings durchaus möglich, dass die Idee von Carl Holty stammte, der die Methode für die eigenen Bilder verwendete.) «Mondrian», erinnerte sie sich später, «war mein Guru».26_CVW_The Great Field of Action_1953_Walker
Nach seinem Tod, der sie zutiefst erschütterte, versuchte sich Charmion von Wiegand als Malerin von ihrem Vorbild zu lösen – was ihr phasenweise zu gelingen schien. Sie probierte es eine Zeitlang mit biomorphen Formen und Collagen und suchte sie Orientierung bei Hans Arp, Wassily Kandinsky und Hans Richter, doch die strengen Rasterformen kamen immer zurück. Für ihre weitere künstlerische Arbeit war die intensive Beschäftigung mit der Theosophie von entscheidender Bedeutung. Sie begann 1949, als sie und Joseph Freeman Louis James, den Präsidenten der Theosophischen Gesellschaft in New York, kennenlernten. Erst jetzt – und nicht durch Vermittlung Piet Mondrians, der ein begeisterter Anhänger der Theosophie und später der Anthroposophie Rudolf Steiners war – studierte sie die Schriften der Begründerin Helena Petrovna Blavatsky und ihrer Adepten. Einige Jahre später entdeckte sie den Zenbuddhismus für sich. Sie besuchte Vorträge und Vorlesungen und suchte für das Gehörte und Gelernte eine malerische Formsprache. Im Jahr 1953 musste sich Joseph Freeman seinem Ausschuss für unamerikanische Umtriebe des Kommunistenjägers Joseph McCarthy (1908-1957) rechtfertigen. Obwohl freigesprochen, setzte dieses Erlebnis nicht nur Freemans journalistischer Karriere ein Ende, sondern bestärkte das Ehepaar auf seinem Weg in eine von Meditation geprägte, dem politischen Getriebe entrückte Erfahrungswelt. «Wir leben in einem Dschungel und können niemandem trauen», schrieb Charmion von Wiegand in einem Brief an ihren Vater. «Während ich dazu gekommen bin, Politik jeder Art zu verabscheuen, heisst das nicht, dass man zynisch werden, sondern den Menschen gegenüber mehr Mitgefühl entgegenbringen muss.»
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Die Haltung ist in den 1950er-Jahren unter Künstlern nicht ungewöhnlich. John Cage, Agnes Martin und Ad Reinhardt liessen sich vom Zenbuddhismus inspirieren. Schon früher hatte sich Mark Tobey (1890-1976) intensiv mit dem Buddhismus in China und Japan vertraut gemacht und fernöstliche bildnerische Traditionen in sein Werk aufgenommen. 1959 stellte Charmion von Wiegand Tobey im «Arts Magazine» als Brückenbauer zwischen dem Osten und dem Westen vor – eine Rolle, die sie in zunehmendem Mass auch sich selbst zuschreiben durfte. Als Publizistin, als Kuratorin von Ausstellungen und als Malerin engagierte sie sich ab 1965, dem Todesjahr von Joseph Freeman, für die tibetische Kunst und Kultur. Gut möglich, dass zu Recht beklagt wird. sie sei sowohl als Begleiterin in Piet Mondrians letzten Lebensjahren, als auch als eigenständige Künstlerin zu wenig wertgeschätzt worden. Aber dieser Ansatz bestimmt (zum Glück) nicht den Kern der Ausstellung. Beachtung verdient sie vielmehr, weil sie Charmion von Wiegands Lebensleistung als Ganzes darstellt und herausarbeitet, wie sie den eigenen Erkenntniszuwachs ein Leben lang kontinuierlich schreibend und künstlerisch gestaltend weitergab. Es ist nicht auszuschliessen, dass weitere Forschung es künftig ermöglichen wird, die Künstlerin nicht nur in einer Überblickspräsentation zu zeigen, sondern ihre Werke und ihre Schaffensphasen gewichtend einzuordnen.

Zur Ausstellung, die wegen der Pandemie erst mit Verspätung eröffnet werden konnte, erschien bereits 2021 ein Katalog mit einem grossen Bildteil und kenntnisreichen Textbeiträgen. Wismer, Maja (Hrsg. für das Kunstmuseum Basel): «Charmion von Wiegand. Expanding Modernism», München 2021 (Prestel-Verlag), 200 Seiten CHF 44.00.

Illustrationen (von oben nach unten): Arnold Newman: Porträt von Charmion von Wiegand, 1961 (Scan aus dem Katalog); Titelblatt des Magazins «New Masses» 1926 (aus Wikipedia); Charmion von Wiegand: The Great Field of Action or the 64 Hexagrams (Der Altar der Ahnen aus dem I Ging), 1953. (Collection Walker Art Center, Minneapolis, Schenkung Howard Wise, New York, 1974); Charmion von Wiegand: Triptych, Number 700. 1961 (Whitney Museum of American Art. Schenkung Alvin M. Greenstein.)

«Party for Öyvind» im Museum Tinguely

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Zu einer «Party for Övyind» lädt das Museum Tinguely vom 16. Februar bis 1. Mai 2022 ein. Der Titel ist etwas irreführend, da Öyvind Fahlström, der Protagonist, sich auf der Sause nicht nur feiern lässt, sondern sich daran auch überaus aktiv beteiligt. Das gilt im übertragenen Sinn für die Ausstellung wie auch ganz konkret für die Party, die Claes und Patty Oldenbourg am 4. Februar 1967 in ihrem riesigen New Yorker Atelier-Loft zum Geburtstag Öyvinds und zur Feier seiner ersten Einzelausstellung ausrichteten. Nach der Überlieferung sollen rund 500 Personen an dem Fest teilgenommen haben. Der Zustrom war kein Zufall: Öyvind Fahlström, 1928 in São Paulo als Sohn eines Norwegers und einer Schwedin geboren und 1978 in Stockholm an Krebs gestorben, war seit den frühen 1950er-Jahren, als er in Stockholm Kunstgeschichte und Archäologie studierte, ein ungemein begnadeter Netzwerker. Er selbst bezeichnete sich Zeit seines kurzen Lebens als Poet. Aber sowohl seine eigenen Aktivitäten wie auch seine Kontakte im Künstlermilieu kannten keine Grenzen. Er interessierte sich für alle Arten kreativer Betätigung und war überall aktiv dabei. Er schrieb – Gedichte, Essays in zahlreichen Zeitschriften der Avantgarde, Theaterstücke – , er malte, zeichnete und collagierte, er filmte, organisierte Ausstellungen, inszenierte Performance- und Tanz-Darbietungen und knüpfte Freundschaften mit allen Kulturschaffenden, denen er begegnete. Die von der schwedischen TV-Kulturjournalistin Barbro Schultz Lundestam und ihrem Ehemann Gunnar Lundestam kuratierte Schau, die zuerst – in bescheidenerem Umfang – in Stockholm zu sehen war und nach ihrer Station in Basel im Kunstverein in Hamburg gezeigt wird, vermittelt einen enzyklopädischen Querschnitt durch die Avantgarde-Kunst der Jahre 1950 bis 1980. Sie reflektiert einen künstlerischen Zeitgeist, der es sich zur Aufgabe machte, den gesellschaftlichen Umbruch der Nachkriegszeit in allen Facetten sichtbar zu machen. Anders als heute, wo jede Art von Grenzüberschreitung mit einem Achselzucken zur Kenntnis genommen wird und alles erlaubt scheint, spürten die Künstler in den Nachkriegsjahren den Widerstand des tonangebenden konservativen Kulturmilieus. Das verstärkte den Zusammenhalt der jungen Generation, die oft genug am Existenzminimum lebte. Gleichzeitig herrschte ein kreatives Treibhausklima, das spartenübergreifende Kooperationen förderte. Öyvid Fahlström verkörperte dieses Zeitgefühl in beispielhafter Weise: er interessierte sich für alles, und er war auf der ganzen Welt zu Hause.

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Die Ausstellung folgt dem Leben und dem Werdegang von Övyind Fahlström. Er war etwas mehr als 10 Jahre alt, als ihn sein schwedischer Grossvater 1939 in Brasilien zu einem Besuch in der Heimat seiner ausgewanderten Eltern abholte. Als vor der geplanten Heimkehr der Zweite Weltkrieg ausbrach, blieb das Kind bei der Familie seiner Tante in Schweden. Dort ging er zur Schule, machte als einer der Besten seines Jahrgangs das Abitur. Erst 1947 sah er seine Eltern wieder. Um dem Dienst in der brasilianischen Armee zu entgehen, entschloss er sich, in Schweden zu bleiben und dort zu studieren.

Die ersten Ausstellungsobjekte zeigen Öyvind Fahlström als jungen Dichter, der seine Verse, die er 1954 mit dem ersten Manifest der konkreten Poesie fundierte, in den angesagten Magazinen. Übrigens: Der in Bolivien geborene Schweizer Dichter Eugen Gomringer (*1925), der bei uns als Begründer der konkreten Poesie gilt, publizierte sein eigenes Manifest «vom vers zur konstellation» erst einige Monate nach Oyvind Fahlström – und ganz unabhängig von ihm. Die beiden sind sich anscheinend nie begegnet.

Die zweite Etappe in seinem Künstler-Leben führte Fahlström nach Italien, zuerst, 1950, auf dem Trampelpfad der Archäologen in Rom, Neapel, Sizilien und Sardinien. Zwei Jahre später kehrte er zurück und schrieb von Rom aus als Journalist für Tageszeitungen und Kunstmagazine über alle möglichen Erscheinungen des Kulturbetriebs. Seine Tätigkeit machte Kontakte zu Künstlern und Kulturschaffenden aller Art möglich. Besonders beeindruckte ihn der Maler und Grafiker Giuseppe Capogrossi (1900-1972), von dem er sich zu eigenen Bildern inspirieren liess. Zu seinen Freunden zählte auch der chilenische Architekt, surrealistische Maler und Bildhauer Roberto Matta (1911-2002), dessen Werke 1959 in der ersten Ausstellung des neu gegründeten Moderna Museet in Stockholm gezeigt wurden. Im schwedischen Maler Olle Ängkvist (1922-2006) entdeckte Fahlström einen Gleichgesinnten: neugierig, furchtlos und offen für die weite Welt. Diese weite Welt verkörperten in den 1950er-Jahren in Rom die Amerikaner, vor allem Robert Rauschenberg (1925-2008), der sich im legendären Black Mountain College in den Bergen North Carolinas in seinen Mitstudenten Cy Twombly (1928-2011) verliebt hatte und ihn überredete, mit ihm nach Rom zu ziehen. Fahlström war 1954 von den Arbeiten seines Jahrgängers Twombly, die er in einer Tour durch die Galerien sah, zuerst wenig beeindruckt. Immerhin kehrte er zurück, traf den bisher erfolglosen Maler persönlich und schrieb im schwedischen Magazin «Konstrevy» die erste positive Besprechung.

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Zurück in Stockholm, sass der inzwischen mit der Kunsthistorikerin Birgitta Tamm verheiratete und als Publizist einschlägig bekannte Fahlström im avantgardistischen Kunstbetrieb an einem Dreh- und Angelpunkt. Er etablierte einen «Französischen Salon» und machte ihn zum Mittelpunkt von Stockholms Kulturleben. Im Umfeld des 1959 gegründeten und von Pontus Hultén dirigierten Moderna Museet, gehörte er zu den ersten enthusiastischen Animatoren spartenübergreifender Projekte. Im gleichen Jahr geriet er durch die Bekanntschaft mit der Malerin Barbro Östlihn (1930-1995) und ihrem Mann BjörnHallström (1931-2001) in schwere emotionale Turbulenzen, die nach einem Jahr «komplizierter und qualvoller Spannungen» (Katalogtext), nur unterbrochen durch einen längeren Aufenthalt in Paris, dadurch gelöst wurden, dass Barbro Öyvind heiratete und Björn Birgitta. Barbros Kinder blieben bei ihrem Vater. Wenig später, 1961, zogen Fahlström und Östlihn nach New York um.

Der grösste Raum der Ausstellung ist den rund 15 Jahren gewidmet, in denen die künstlerische Vorhut in New York den Ton angab – im übertragenen wie auch im wörtlichen Sinn. Eine zentrale Rolle spielte dabei der Elektroingenieur Billy Klüver (1927-2004), «der Edison-Tesla-Steinmetz-Marconi-Leonardo da Vinci der amerikanischen Avantgarde», wie ihn die Illustrierte LIFE einmal nannte. Klüver, in Monaco als Kind norwegisch-schwedischer Eltern geboren und in Schweden aufgewachsen, stellte seine technischen Kenntnisse in den Dienst vieler Künstler, unter anderem von Jean Tinguely, dem er 1960, zusammen mit Robert Rauschenberg half, im Garten des MoMA seine selbstzerstörerische Skulptur «Homage à New York» zu bauen. Unentbehrlich war Klüver auch 1966 bei der Organisation von «9 Evenings: Theatre and Engineering», einer Reihe von Performances, die Künstler und Ingenieure gemeinsam entwickelten. Beteiligt waren zehn Künstlerinnen und Künstler – John Cage
, Lucinda Childs, Öyvind Fahlström, Alex Hay, Deborah Hay, Steve Paxton, Yvonne Rainer, Robert Rauschenberg, David Tudor und Robert Whitman - und etwa 30 Ingenieurinnen und Ingenieure. Die «9 Evenings» waren auch die Geburtsstunde der Organisation E.A.T. (Experiments in Art andTechnology), die Künstlerinnen und Künstler mit dem neusten technischen Knowhow unterstützte.

Barbro Schultz Lundestam besuchte Billy Klüver und seine Frau Julie Martin 1993 und erhielt Zugang zum Archiv des E.A.T.-Projekts, das mit seinen 16mm-Filmen, Fotos und Dokumenten eine unschätzbar wertvolle Quelle der Avantgarde darstellte. Auf Initiative von Robert Rauschenberg gestaltete Barbro Schultz aus dem Material zehn Dokumentarfilme und publizierte 2004 das Buch «Teknologi för livet. Om E.A.T.»

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Mit Jean Tinguely und Niki de Saint-Phalle kam Öyvind Fahlström unter anderem bei der Theater-Performance «Construction of Boston» am 4. Mai 1961 im Maidman Playhouse in New York zusammen. Die nur einmal gezeigte Inszenierung mit vielen Improvisationen und Musik, das sich Kenneth Koch ausgedacht hatte, versammelte 14 «Schauspielerinnen und Schauspieler», darunter Öyvid Fahlström, Billy Klüver, Robert Rauschenberg, Frank Stella, Jean Tinguely und Niki de Saint-Phalle, und im völlig überfüllten Saal war das Publikum ausser Rand und Band. Der Anstoss für das Happening kam von Niki de Saint-Phalle, die Kenneth Koch zum Verfassen eines Skripts anstachelte, das sich allerdings unter dem Einfluss der beteiligten Künstlerinnen und Künstler dauernd veränderte. Schliesslich baute Jean Tinguely, als elegante Dame verkleidet, aus Leichtbeton-Elementen eine Mauer, die quer über die Bühne lief und dem Publikum nach und nach die Sicht auf das dramatische Geschehen versperrte. Wie ein Foto belegt, beteiligten sich Öyvind Fahlström und Joan Kron am Mauerbau, der nun im Museum zu besichtigen ist.

Buchtitel
Die Ausstellung «Party for Öyvind» und das Katalogbuch dazu zeugen von der Leidenschaft und der Kompetenz, mit der sich die Autorin und ihr Ehemann mit allen Aspekten der Umbruch-Epoche der 1960er- und 1970er-Jahre befassten und befassen). Die über 400 Objekte – Bilder, Filme, Skulpturen, Dokumente – von 40 Künstlerinnen und 40 Künstlern, die sie jetzt Kuratoren präsentieren, sind ein überwältigender Beleg für die Kraft, die damals eine international eng vernetzte, ihrer gesellschaftlichen Rolle bewusste Kunst-Bewegung entfaltete. Und es ist ein grosses Glück für alle Interessierten, dass die Fülle des Materials auch nach der Ausstellung zwischen Buchdeckeln greifbar bleibt. Der Katalog bietet eine mit zahlreichen Anekdoten und Erinnerungen gespickte spannende Lektüre und ist mit seinem zehnseitigen Namenregister ein unverzichtbares Nachschlagewerk. Die zum Teil typografisch abenteuerliche Gestaltung mindert nicht den inhaltlichen Wert der Publikation.

Barbro Schultz Lundestam: Party for Öyvind. Stockholm 2021 (Schultz Förlag AB), 438 Seiten, ca. 480SKr/CHF 50.00 (nur in englischer Sprache erhältlich).

Illustrationen von oben nach unten: Einladungskarte von Claes Oldenbourg zur Party für Öyvind Fahlström; Öyvind Fahlström, Section of World Map - A Puzzle, 1973, Private Collection; Öyvind Fahlström, The Cold War, 1963-1965, Centre Pompidou, Paris - Musée national d'art moderne / Centre de création industrielle. © ProLitteris, Zürich; Joan Kron, Öyvind Fahlström und Jean Tinguely bei «Construction of Boston», 1962, Privatsammlung; Katalogbuch «Party for Öyvind» (Umschlag).

Bilderchronik einer Avantgarde: Ad Petersen im Museum Tinguely

Dreissig Jahre lang, von 1960 bis 1990, hat Ad Petersen (*1931) am Stedelijk Museum in Amsterdam als Konservator gewirkt und wichtige Ausstellungen der Avantgarde organisiert. Und 30 Jahre lang hat er die Künstler und ihre Arbeit als Chronist mit seiner Kamera begleitet. Seine rund 30’000 Schwarzweiss-Aufnahmen dokumentieren nicht nur die wichtigsten Kunst-Ereignisse der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts, sie zeugen auch von der einzigartigen Gabe des autodidaktischen Fotografen, den Künstlern immer als Freund zu begegnen, dem sie Vertrauen schenken konnten. Seine Porträts sind nie inszeniert, vielmehr erfassen sie die Persönlichkeit der Künstler in Momenten, in denen sie ganz bei sich sind. Für die Ausstellung im Museum Tinguely in Basel – vom 27. Februar bis zum 26. Mai 2013 – konzentrierte sich die Kuratorin Annja Müller-Alsbach auf den Freundeskreis Tinguelys und seine Generation, denen Ad Petersen besonders nahe stand. Die Fotografien ergänzte sie mit Dokumenten und Kunst-Stücken aus der privaten Sammlung des Holländers, sodass der Titel der Schau «Les mille lieux de l’art» unwillkürlich auch als eine Hommage an das fiebrige «Milieu» der Kunstszene der sechziger und siebziger Jahre verstanden werden kann, in dem auf beiden Seiten des Atlantiks mit neuen Formen der Kunst und der Kommunikation experimentiert wurde. Es ist ein Glück, dass zur Ausstellung ein sehr schön gestaltetes Bilderbuch erscheint, das neben den fotografischen Dokumenten auch Ad Petersens Erinnerungen an die kreative Avantgarde dauerhaft festhält. Ein ausführlicher Bericht über die Ausstellung und das Buch zur Ausstellung steht hier zur Verfügung.
Annja Müller- Alsbach (Hrsg.): Ad Petersen. Les mille lieux de l’art. Luzern 2013 (Edizioni Periferia). 176 Seiten. CHF 38.00

Basquiat in der Fondation Beyeler

Aus Anlass seines 50. Geburtstages widmet die Fondation Beyeler Jean-Michel Basquiat, dem Wunderkind der amerikanischen Hip-Hop-Generation, die bisher umfangreichste Retrospektive. Vom 9. Mai bis zum 5. September sind in Riehen kuratiert von Dieter Buchhart und Sam Keller, 86 meist grossformatige Gemälde, dazu Zeichnungen und skulpturale Objekte zu sehen – eine Auswahl aus einem riesigen Oeuvre, das über 1000 gemalte und mehr als 2000 gezeichnete Arbeiten umfasst. Basquiat, 1960 als Kind einer Puertoricanerin und eines Haitianers in Brooklyn geboren und 1988 in Manhattan im Drogenrausch gestorben, begann mit 16 als Sprayer, dann versuchte er sich als Gestalter von T-Shirts und als Musiker bevor er sich der Malerei zuwandte. Sein Aufstieg zum Jungstar der internationalen Kunstszene begann 1981, als seine Arbeiten in der Ausstellung «New York/New Wave» neben Bildern von Keith Haring und Robert Mapplethorpe hingen und die ersten Kunsthändler auf ihn aufmerksam wurden. Ein Jahr später sah sich der 21-jährige zur Documenta nach Kassel eingeladen. Erstklassige Galerien in den USA und in Europa richteten ihm Einzelausstellungen aus. In der chronologisch aufgebauten Präsentation in Riehen ist ein zunehmend selbstsicheres kreatives Naturtalent dabei zu beobachten, wie es seiner eigenen Welt Form und Farbe gibt – spielerisch, kraftvoll und «immer echt», wie sein Galerist und Förderer Bruno Bischofberger betont.
Die ausführliche Besprechung der Ausstellung und des Katalogs gibt es hier.