Kinetische Kunst

Stephen Cripps im Museum Tinguely

Cripps Plakat
Der Brite Stephen Cripps (1952-1982) gehört zu den Künstlern, die hierzulande bisher nur Spezialisten bekannt waren. Das hat zum einen damit zu tun, dass er sehr früh (an einer Überdosis Methadon) gestorben ist, und zum andern, dass seine weit gespannten Interessen – Performance, Musik, Film, bildende Kunst – vor allem in Konzepten, Zeichnungen und Collagen sowie in meist wenig ausführlich dokumentierten Happenings ihren Niederschlag fanden. So entwarf er einen mechanischen Garten, der unter anderem mit Gummi-Enten auf einem Fliessband und explodierenden Vogelscheuchen aufwarten sollte. Eine andere «Maschinen-Performance» bestand darin, dass ein Helikopterrotor einen Galerieraum attackierte und sich gleichzeitig selbst zerlegte. Und in dem Projekt «Shooting Gallery» wurde das Publikum angehalten, mit einer modifizierten Pistole auf Musikinstrumente – Becken, Xylophon – zu schiessen. In seinen pyrotechnischen Werken waren die Schalleffekte der Detonationen ebenso wichtig wie Feuer und Rauch. In der thematisch arrangierten Ausstellung im Museum Tinguely zeigt Kuratorin Sandra Beate Reimann vom 27. Januar bis 1. Mai 2017 in Zusammenarbeit mit dem Henry Moore Institute in Leeds erstmals auch, wie sich Cripps’ bisher unveröffentlichte Klangkompositionen anhören. Er setzte dabei quietschende Türen ein und liess sich von allerlei Lärmquellen – Düsentriebwerke, Rasenmähermotoren – inspirieren. Die über 200, zumeist aus dem Nachlass stammenden Arbeiten, die jetzt in Basel zum ersten Mal zu sehen und zu hören sind, belegen eine entfesselte künstlerische Fantasie, die schon zur Zeit ihrer Konzeption alle Grenzen sprengte, und heute aus Sicherheitsgründen keine Chance zur Realisierung erhielte. Jean Tinguelys Maschinenskulpturen und vor allem seine Zerstörungsaktionen entfalteten für Cripps eine starke, vorbildhafte Wirkung. Die überaus sehenswerte Retrospektive ist alles andere als eine im Schnellgang zu konsumierende Kunstschau. Sie verlangt von den Besuchenden vielmehr Geduld und Phantasie und vor allem die Bereitschaft, die Exponate aus der Nähe zu betrachten. Wer sich darauf einlässt, wird ein künstlerisches Universum ganz eigener Art kennen lernen.

Eine ausführliche Besprechung der Ausstellung und des Katalogs
gibt es hier.

Zur Ausstellung erschien – in je einer deutschen und englischen Version – ein sehr ansprechend gestalteter Katalog mit Beiträgen der Kuratorin und weiterer sachkundiger Kenner von Cripps und der britischen Kunstszene der 1970er-Jahre. Als erste umfassende wissenschaftliche Veröffentlichung zum Werk des Künstlers ist die Publikation das Referenzwerk für die weitere Erforschung von Cripps’ Œuvre.
Sandra Beate Reimann (Hrsg. für das Museum Tinguely): Stephen Cripps – Performing Machines. Wien 2017 (VfmK Verlag für moderne Kunst GmbH), 192 Seiten, CHF 48.00, €38.00

Zilvinas Kempinas: Licht, Luft und Videotape

Mit der Schau «Slow Motion» lädt das Museum Tinguely in Basel zur Entdeckung des litauischen Künstlers Žilvinas Kempinas (geb. 1969) ein. Auf 1500 Quadratmetern und vier Etagen präsentiert Kurator Roland Wetzel vom 6. Juni bis zum 22. September 2013 – teils im Dialog mit Jean Tinguelys Maschinenskulpturen, teils in eigenen Räumen – die raumgreifenden Installationen des in New York lebenden «Magiers der Elemente» (Wetzel). Beeindruckend sind die komplexen Raumwirkungen, die Kampinas mit seinem Lieblingsmaterial Magnetband erzielt, das er waagrecht, schräg und senkrecht in den Raum spannt. Die Betrachtenden, die sich in den und um die Kunstwerke bewegen, werden zu Bestandteilen der Installationen. Virtuos geht Kampinas nicht nur mit Räumen, sondern auch mit Luft um. Schon ein leichter Wind macht die dünnen Vogelschreckbänder, die er im Freien zwischen japanische Schneepfähle gespannt hat, zu einer flirrenden, die Farben der Pfähle reflektierenden Skulptur. Ähnlich im Innern, wo Ventilatoren für ständige Bewegung von liegenden, schwebenden und hängenden Videobändern sorgen. Mit der Kempinas-Ausstellung beschert uns das Museum Tinguely die spektakuläre Begegnung mit einem hierzulande bisher unbekannten Kunst-Zauberer, dessen Werk durch geniale Einfachheit und solide Gedankenarbeit besticht.
Eine ausführliche Besprechung der Ausstellung folgt demnächst hier.

Rauschenberg bei Tinguely

Gleich auf doppelte Weise ermöglicht das Museum Tinguely in Basel, einen der Pioniere der amerikanischen Moderne, den am 13. Mai 2008 im Alter von 82 Jahren verstorbenen Robert Rauschenberg, kennen zu lernen: Vom 14. Oktober 2009 bis zum 17. Januar 2010 präsentieren der neue Museumsleiter Roland Wetzel und die Kuratorin Annja Müller-Alsbach gleichzeitig die Zusammenarbeit Jean Tinguelys mit seinem amerikanischen Freund «Bob» Rauschenberg und – unter dem Titel «Gluts» – eine Auswahl aus der gleichnamigen Werkgruppe aus dem Spätwerk, die zuerst in der Peggy-Guggenheim-Collection in Venedig gezeigt wurde und von Basel nach Bilbao weiter wandern wird. Gestaltet wurde dieser Teil der Schau von Susan Davidson vom New Yorker Guggenheim-Museum und von David White, Kurator des Rauschenberg-Nachlasses. Mehr...

Rauschenberg: «Trophy III (for Jean Tinguely)»