Klimawandel

Plädoyer für mehr Sachlichkeit

Alex Reichmuth, 40, gelernter Naturwissenschaftler und Radiojournalist dazu, belegt in seinem Buch «Verdreht und hochgespielt», wie schwierig es ist, der derzeit populären Angstmacherei in Umwelt- und Gesundheitsfragen rationale, wissenschaftlich fundierte Forschungsergebnisse entgegen zu setzen, ohne schwarz-weiss zu malen, aber auch ohne Furcht vor den hervorragend aufgestellten Obskuranten-Organisationen. Sein «Plädoyer für mehr Sachlichkeit und weniger Ideologie» ist in seinem ständigen Bemühen um emotionslose Objektivität zwar todlangweilig zu lesen, die Fülle der dargebotenen Fakten macht es aber zur Pflichtlektüre für alle, die sich noch der Aufklärung und der Ratio verbunden fühlen.

Schon beim Schreiben meiner Besprechung von Al Gore‘s Buch «Angriff auf die Vernunft», in dem der frühere amerikanische Vizepräsident die systematische Emotionalisierung der amerikanischen Politik beklagt, fragte ich mich, wie weit es in dieser Hinsicht hierzulande mit uns gekommen ist. Zwar ist unser Bildungsniveau höher, und der religiöse Obskurantismus hat nicht denselben Einfluss auf die Politik wie in den USA. Aber schleichen sich nicht auch bei uns die Anti-Aufklärer auf leisen Pfoten durch unsere politischen Oberstübchen? Reichmuth bietet einige Beispiele von Kampagnen gegen Amalgam und Mobilfunkstrahlen, er schreibt über die Vogelgrippe-Hysterie und den besonders nachhaltig orchestrierten Feldzug gegen die Agrobiotechnologie und berichtet über die Unterdrückung der Meinungsvielfalt in Sachen Waldsterben, Klimawandel und Acrylamid. Er tut dies aber im grossen Ganzen ohne die politischen und ökonomischen Zusammenhänge angemessen zu berücksichtigen.

Folgerichtig kommt die Begeisterung des Publikums für so genannte alternative Heilmethoden nicht vor. Weshalb haben 140’000 Bürgerinnen und Bürger dazu überreden lassen, ein Volksbegehren zu unterschreiben, das die Geschäfte von Homöopathen, Anthroposophen, Neuraltherapeuten und anderen Heilpraktikern durch die Grundversicherung absichern soll. Dass es keine wissenschaftlich-rationalen Beweise für die Wirksamkeit der Methoden gibt und sie mithin Glaubenssache sind, focht die Unterschreibenden nicht an. Kein Zweifel: Wunder nehmen wir alle immer mal wieder dankbar an. Und ja: Viele, die sich auf ihren knallharten Rationalismus etwas einbilden, schwören heimlich auf allerlei Hausmittelchen und Hokuspokus – selbstverständlich auf eigene Kosten.

Besonders befremdlich scheint auf den ersten Blick, dass ausgerechnet die Linken, historisch die leidenschaftlichsten Apologeten des rationalen Diskurses, auf Seiten der Gefühlsakrobaten agieren. Aber so ist halt das politische Geschäft: Als grosses Sammelbecken der Gesundheits-Branche, die in erster Linie vom boomenden Geschäft profitiert, opfern die Sozialdemokraten ihren aufklärerischen Ansatz der Wellness ihrer Wählerschaft. Ähnliches geschieht leider auch auf anderen Gebieten. Alle Parteien, wie gesagt: bedauerlicherweise auch die linken, scheuen davor zurück, sich den Angstmachern entgegen zu stellen. Flurschäden, zum Beispiel in der Wissenschaftspolitik, nehmen sie – allen wohlfeilen Bekenntnissen zur Forschungsfreiheit und zum wirtschaftlichen Wert der Forschung in einem ressourcenarmen Land zum Trotz – ohne weiteres in Kauf.

Die Medienschaffenden sind nicht nur in den USA Teil der Emotionalisierung, auch hierzulande machen sie es sich, wie Alex Reichmuths Materialsammlung eindrücklich zeigt, im Seitenwagen von Umwelt- und Gesundheitsapostel-Unternehmern bequem. Leider wäre es falsch, auf bessere Einsicht zu hoffen. Träumen ist aber erlaubt – träumen von einer Zukunft, in der es schick ist und als journalistisch hip gilt, kritisch, distanziert und rational über technische und wissenschaftliche Errungenschaften zu berichten.

Hier gibt es mehr über Reichmuths Buch.

Die Besprechung von Al Gores kritischen Beschreibung der amerikanischen Gesellschaft steht hier als PDF zur Verfügung.