Le Corbusier

«Here We Are!»: Design von Frauen im Vitra Design Museum

Key Visual klein
Das Vitra-Museum in Weil am Rhein zeigt vom 23. September 2021 bis zum 6. März 2022 unter dem Titel «Here we Are! Frauen im Design 1900 - heute» in vier chronologisch geordneten Kapiteln den grossen Einfluss von kreativen Frauen auf die Entwicklung der Gestaltung von Möbeln, Textilien, Geschirr, Schmuck, aber auch von Plakaten. Zu sehen sind Werke berühmter Designerinnen wie die Irin Eileen Gray (1878-1976) oder Charlotte Perriand (1903-1999), die zehn Jahre lang als Mitarbeiterin des Architekten Le Corbusier und seines Coucousins Pierre Jeanneret für fast alle Möbel-Entwürfe des Ateliers verantwortlich zeichnete, oder Lilly Reich (1885-1947), die mit Ludwig Mies van der Rohe unter anderem grossen Anteil an der Gestaltung des deutschen «Barcelona-Pavillons» an der Weltausstellung 1929 und 1930 an der Innenausstattung der Brünner Villa Tugendhat hatte, einem der Hauptwerke des Architekten.

Carlotte Perriand 1929 klein
Im ersten Raum, der die Geschichte von 1900 bis 1930 unter dem Titel «Reform und Revolution» darstellt, wird deutlich, wie gross die Anstrengungen der Frauen, aller fortschrittlichen Frauen, waren, die ihnen die Ausbildung (nicht nur) in kreativen Berufen gestatteten. War der Kampf um Gleichberechtigung vor dem Ersten Weltkrieg noch mühsam, wurden die Beiträge von Frauen, vor allem in den Milieus der künstlerischen Avantgarde am Ende und nach der Kriegszeit, zunehmend geschätzt. Dass aus dem Weimarer und Dessauer Bauhaus, das Frauen und Männer gleichberechtigt aufnahm, zahlreiche Anekdoten überliefert sind, in denen die Studentinnen nach dem Vorkurs fast automatisch der Textilwerkstatt zugewiesen wurden, ist kein Widerspruch. Oft waren es die Frauen selbst, die sich dies wünschten, andere wechselten im Lauf der Zeit in ein anderes Fach und entwarfen Möbel, Spielzeug, Lampen oder Geschirr.

Ray-Eames-1950 klein
Der zweite Raum der Ausstellung ist – zeitlich überlappend den «Pionierinnen der Moderne 1920-1950» gewidmet. Hier sind zum Beispiel die ikonischen Entwürfe von Charlotte Perriand zu sehen, und hier wird auch vermerkt, dass Designerinnen nicht als Originalgenies gewürdigt werden sollen, sondern als Teamplayerinnen, die ihre Projekte oft mit ihren Partnern und mit weiteren Mitarbeitenden zum Erfolg brachten. Es ist den Kuratorinnen der Ausstellung – Viviane Stappmanns, Nina Steinmüller und Susanne Graner – hoch anzurechnen, dass sie diesen Aspekt der Designgeschichte besonders betonen und deutlich machen, dass es kein Makel, sondern im Gegenteil ein Beleg für ihre Eigenständigkeit und ihr Selbstbewusstsein ist, wenn Frauen partnerschaftlich mit Männern zusammenarbeiten.

Der dritte Raum widerspiegelt unter dem Titel «In Bewegung 1950-1990» die Dynamik der Nachkriegsjahre, die auch der Kreativität von Gestalterinnen neue Möglichkeiten eröffnete. Die zentrale Botschaft dieses dritten Ausstellungsteils ist die Überwindung des traditionellen Frauenbilds. Wie langsam dies geschah, wird am Beispiel der Schweizerischen Ausstellung für Frauenarbeit SAFFA 1958 in Zürich vorgeführt. Ihre Vorgängerin, 1928 in Bern, sollte die politische Emanzipation der Schweizer Frauen voranbringen. Dreissig Jahre später ging es um die Würdigung und Förderung der gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Leistung der Frauen. Dass dies in einer irgendwie verklemmten Form geschah, indem ein überaus konservatives Frauenbild präsentiert wurde, das alle Klischees einer bürgerlichen Frauenexistenz bediente.
Plakat SAFFA-1958 klein
Das ist nur im Rückblick verwunderlich. Mitten im Kalten Krieg, als es darum ging, einem sozialistisch, von in «Männerberufen» malochenden Frauen – nicht zuletzt unter dem Einfluss amerikanischer Konsumwerbung – eine Alternative entgegen zu setzen: Aus Hausfrauen sollten Damen werden, die es nicht nötig hatten, einer Erwerbsarbeit nachzugehen und sich auf ihre Rolle als Hüterinnen des gepflegten Eigenheims konzentrierten, denen zahlreiche Apparate und Geräte – Kühlschrank, Elektroherd, Waschmaschine, Staubsauger – zur Verfügung standen, die sie von der jeder mühseligen Plackerei entlasteten. Paradoxerweise ermöglichte dieser Trend Frauen auch überraschende Karrieren. Die Ausstellungsmacherinnen stellen in diesem Kontext in unter anderen Brownie Wise (1913-1992) vor, die das Vertriebssystem der «Tupperware» mit Nachbarschaftspartys erfand, und die, ebenfalls kaum bekannte, britische Designerin Enid Seeney (1931-2011), welche die Dekors für das in den 1950er- und 1960er Jahren in Grossbritannien überaus populäre Keramik-Geschirr «Homemaker» entwarf.

Gleichzeitig, auf der andern Seite des Eisernen Vorhangs, gestaltete die russische Architektin Galina Balaschowa (geb. 1931) ab 1963 die Innenräume der sowjetischen Orbitmodule von vier verschiedenen Sojus-Modellen, später von mehreren Raumstationen und der Raumfähre Buran. Sie übernahm auch das Design von Medaillen und Emblemen. In einem Interview mit der beratenden Kuratorin Aljona Sokolnikowa, das im Programm zur Ausstellung abgedruckt ist, betont die Gestalterin, dass sie bei ihrer Arbeit künstlerisch immer frei arbeiten konnte, wohl auch, weil ihrer Ansicht nach «in all den Jahren nie jemand wirklich begriff, was ich da eigentlich
Galina-Balaschowa klein
machte.» Zwei wesentliche Dinge seien es, die zu berücksichtigen seine, wenn man Räume für die Schwerelosigkeit entwerfe: «Ersten verwendete ich immer erdige Farben, um einen deutlichen Kontrast zwischen dem dunkleren , grünen Boden und der helleren, blassgelben Decke zu erzielen und so die Orientierung im Raum zu erleichtern. zweitens erfand ich ein innovatives System mit Klettverschlüssen, mit dessen Hilfe die Kosmonauten umstandslos kleine Gegenstände fixieren konnten, die sonst in der Kapsel herumschweben würden.»

Im vierten Kapitel entfaltet sich ein Panorama der gegenwärtigen Designerinnen-Szene. Die Gestalterinnen führen ihre eigenen Studios und arbeiten als Entwerferinnen unter ihrem eigenen Namen. Die Vorstellung, dass gestalterische Begabung oder Kreativität etwas mit dem Geschlecht zu tun haben, sei zwar längst überwunden, heisst es im Saaltext, aber Ungleichheiten seien weiterhin vorhanden, wie der zeitgenössische feministische Diskurs belege. Das ist allerdings ein weites Feld, und es scheint, dass sich die Ausstellungsmacherinnen versuchten, einer eindeutigen Stellungnahme zu entziehen, indem sie einzelne Standpunkte nebeneinander stellten. Interessanter ist die Weitung des Blicks weg von der eurozentrischen Sichtweise, hin auf die Design-Traditionen und neue Entwicklungen in Afrika und anderswo.

Insgesamt bietet die Ausstellung «Here We Are! – Frauen im Design 1900 - heute» eine überaus facettenreiche Fülle von Anschauungsmaterial von rund 80 Gestalterinnen. Es ist sehr zu bedauern, dass es keine Publikation gibt, die diese Fülle festhalten, begründen und einordnen könnte.

Illustrationen: Key Visual der Ausstellung »Here We Are!« © Vitra Design Museum, Illustration: Judith Brugger, Objekt: Faye Toogood, Roly Poly, 2018, Foto: Andreas Sütterlin; Charlotte Perriand auf der Chaise longue basculante, 1929, Perriand und Jeanneret © VG Bild-Kunst. Bonn 2021, Le Corbusier: F.L.C./ VG Bild-Kunst, Bonn 2021; Ray Eames bei der Arbeit an einem Modell, 1950, © Eames Office LLC; Plakat für die Schweizerische Ausstellung für Frauenarbeit, SAFFA, Zürich, 1958, Gestaltung: Nelly Rudin Plakatsammlung Schule für Gestaltung Basel, Copyright für Nelly Rudin: © VG Bild-Kunst, Bonn 2021; Galina Balaschowa, Skizze des Innenraums des orbitalen (Wohn-)Abteils des Sojus-Raumschiffs. Variante 1, 1963, © Kosmonautenmuseum, Moskau

Gerrit Rietveld im Vitra-Museum

Als der gelernte Schreiner Gerrit Rietveld (1888 - 1964) seinen legendären, scheinbar unbequemen aber schönen Stuhl gestaltete, war der Erste Weltkrieg gerade zu Ende. Über dem Trümmerhaufen Europa lag Revolution in der Luft – nicht nur in der Politik. In den im Krieg neutralen Niederlanden fanden sich 1917 Künstler und Architekten, darunter auch Piet Mondrian, in der Gruppe «De Stijl» zusammen, um die Welt neu zu gestalten. Schon früher hatte Gerrit Rietveld begonnen, zum eigenen Vergnügen Möbel zu entwerfen. Provokant verdeckte er die Verschraubungen nicht. Er unterstützte den Maler Theo van Doesburg, den Häuptling der Bewegung, auf der Suche nach einer radikal neuen Art der Innendekoration. Und er galt spätestens ab 1924, als er mit und für Truus Schöder in Utrecht ein Haus baute, als der führende Designer der Gruppe. Seinen Durchbruch als international beachteter Architekt erlebte er allerdings erst in den fünfziger Jahren. Das Vitra Design Museum in Weil am Rhein widmet Gerrit Rietveld in Zusammenarbeit mit dem Central Museum in Utrecht vom 17. Mai bis zum 16. September 2012 eine umfassende Ausstellung. Zu den rund 320 Exponaten gehören neben Möbeln auch Bilder, Fotografien und Modelle, sowie Filme und bedeutende Werke von Zeitgenossen (Theo Van Doesburg, Bart van der Leck, Marcel Breuer, Le Corbusier). Die Kuratorinnen Amelie Znidaric und Laura Hampesch (Vitra Design Museum) sowie Ida van Zijl (Centraal Museum, Utrecht) zeigen, wie aktuell das Werk des Holländers geblieben ist: Rietveld war ein Pionier der Selbstbau-Möbel und seine städtebaulichen Vorstellungen wurzelten in der Überzeugung, dass sie im Dienst der Gesellschaft stehen müssen.
Zur Ausstellung erscheint ein Katalog. Ida van Zijl: Gerrit Rietveld – Die Revolution des Raums.
Eine ausführliche Besprechung der Ausstellung und des Katalogs gibt es
hier.