Vladimir Tatlin im Museum Tinguely

Er war ein Wagner-Fan, der «Fliegende Holländer» hat ihn besonders begeistert. Er war Künstler durch und durch, ein Avantgardist eigener Prägung. Und er glaubte an die Revolution, ganz und gar: Der akademisch zum Maler ausgebildete Vladimir Tatlin (1885 in Moskau geboren, aufgewachsen in Charkow in der Ukraine und im Mai 1953, drei Monate nach Josef Stalin, in Moskau gestorben) inszenierte seinen Glauben an die Zukunft und die Kraft des Kollektivs in vielen Kunstformen. Das Modell seines 400 Meter hoch geplanten, den Pariser Eiffelturm weit überragenden «Denkmals der III. Internationale» gehört zum Grundbestand der Moderne; seine «Konterreliefs» sollten das gängige (bürgerliche) Kunstverständnis aufheben; sein Theater sollte Dichtung und bildende Kunst zur Weltenergie-Quelle verschmelzen; und seine Flugmaschine «Letatlin» hatte nichts weniger im Auge, als den Aufstieg (oder die Rückkehr) des modernen Menschen in die Luft. Das Museum Tinguely in Basel unternimmt es vom 6. Juni bis zum 14. Oktober 2012, weltweit zum ersten Mal seit 20 Jahren, den faszinierenden Visionär in einer umfassenden Schau vorzustellen. Die von Gian Casper Bott mit Sorgfalt und stupendem Fachwissen kuratierte Retrospektive umfasst über 100 Gemälde, Zeichnungen, Reliefs und Skulpturen und ermöglicht einen tiefen Einblick in die faszinierend moderne Welt der russischen Avantgarde und des Konstruktivismus. Die mit Leihgaben aus allen bedeutenden Tatlin-Sammlungen Russlands bestückte Schau ist geeignet, den im Westen etwas in Vergessenheit geratenen Avantgardisten neu zu entdecken und ihn in seiner Heimat noch höher einzuschätzen. Im August und September zeigt das Museum eine Filmreihe «Russische Avantgarde». Und Ende September steht ein internationales Symposium auf dem Programm, das die russische Tatlin-Forschung ermutigen und unterstützen soll.
Zur Ausstellung ist ein Katalog erschienen, der Tatlins Leben und Werk im Licht der neusten Forschung darstellt.
Eine ausführliche
Besprechung der fabelhaften Ausstellung und des Katalogs gibt es hier.

Illustration: V. Tatlin vor dem Modell des Denkmals der III. Internationale 1920 (Ausschnitt) © 2012, A.G. Kaminskaya.