Martial Raysse

Ben Vautier im Museum Tinguely Basel

Bei seinen Landsleuten machte sich Ben Vautier (*1935) durch ein Missverständnis bekannt, als er 1992 am Eingang des Schweizer Pavillons an der Weltausstellung in Sevilla das Schrift-Bild «La Suisse n’existe pas» anbrachte. Er wollte damit sagen, dass es DIE Schweiz, einen einheitlichen, stromlinienförmigen Schweiz-Eintopf nicht gebe, dass vielmehr die Diversität des Landes seine Existenz bestimmt. Damals, im Jahr nach dem Kulturboykott aus Anlass der mit künstlichem Patriotismus aufgeladenen 700-Jahr-Feier der Eidgenossenschaft, nahm die Öffentlichkeit Vautiers Spruch als Nestbeschmutzung wahr. Heute können wohl auch jene, die sich damals empörten, die Sache entspannter sehen und Ben Vautier als vielseitigen, ernsthaften Künstler anerkennen. Die grosse Retrospektive, die das Museum Tinguely in Basel vom 21.10.2015 bis zum 22.1.2016 dem
La Mort est simple
80-jährigen ausrichtet, bietet Gelegenheit dazu. Die von Andres Pardey und Alice Wilke kuratierte Rückschau stellt den Fokus auf die ersten 20 Jahre von Vautiers Schaffen ein und der Künstler selbst, der den zweiten Teil einrichtete, weitet ihn in über 30 Kojen bis in die Gegenwart aus. Dabei wird deutlich, dass das Werk keineswegs auf witzige und träf formulierte Schrifttafeln reduziert werden darf. Er begann mit Malereien, wobei ihn, wie in der Ausstellung unübersehbar, besonders «Bananen» faszinierten, und als er seine ersten Schriftbilder malte, war noch lange nicht klar, dass dies sein bevorzugtes Medium würde. Denn als Mitglied der «École de Nice» und als Fluxus-Pionier, trat er ab 1959 vor allem mit typischen Happenings auf, die er «gestes» nannte. Die Nähe zu den Nouveaux Réalistes, denen er nicht zugehörig war, ist unübersehbar. Kein Zufall, dass er Daniel Spoerri und Jean Tinguely neben den Freunden aus Nizza, Arman, Yves Klein und Martial Raysse besonders schätzt. Die mit über 400 Exponaten fröhlich schrankenlose Ausstellung im Museum Tinguely darf für sich in Anspruch nehmen, das Publikum in umfassender Weise mit Ben Vautiers Universum bekannt zu machen, einem Universum, in dem es ebenso um Kunst wie um Freiheit und Mut geht – drei Begriffe, die für Ben wie kommunizierende Röhren funktionieren.

Zur Ausstellung erscheint – in deutscher und englischer Fassung – ein umfangreicher, reich illustrierter Katalog mit aktuellen Texten von Ben Vautier, Margret Schavemaker, Andres Pardey, Roland Wetzel und Alice Wilke, sowie von historischen Beiträgen verschiedener Wegbegleiter Ben Vautiers. Andres Pardey für das Museum Tinguely (Hrsg.): Ben Vautier – Ist alles Kunst? Basel (Museum Tinguely)/Heidelberg und Berlin (Kehrer Verlag) 2015. 256 Seiten, CHF 52.00

Eine ausführliche Besprechung der Ausstellung und des Katalogs findet sich
hier.

Duft der Kunst im Museum Tinguely

36 Künstlerinnen und Künstler des 20. und 21. Jahrhunderts und ein halbes Dutzend Kollegen aus der Zeit des Barock schufen das Material, das vom 11. Februar bis zum 17. Mai 2015 im Museum Tinguely in Basel unter dem Titel «Belle Haleine», den «Duft der Kunst» verbreitet. Es sei die erste Ausstellung einer geplanten Reihe über die menschlichen Sinne, erklärte Museumsdirektor Roland Wetzel in seiner Einführung. Und der Start ist, wie ein erster Rundgang zeigt, trotz der Schwierigkeit, olfaktorische Reize und visuelle Effekte zu Kunstwerken zu vereinen, fulminant gelungen. Dies ist wohl in erster Linie dem Mut der Kuratorin Annja Müller-Alsbach zu verdanken, die Schau nicht künstlich einem Oberthema unterzuordnen, sondern die Kunstwerke lediglich
Nase
lose zu gruppieren. So gibt es eine Werkgruppe, die dem menschlichen Körper und seinen Ausdünstungen gewidmet ist, eine andere befasst sich mit der Kommerzialisierung der Düfte und eine dritte mit den Gerüchen der Natur. Die Fülle der Variationen ist überwältigend überraschend. Sie beginnt mit Duftbildern aus dem Barock, demonstriert an Beispielen – Duchamps Glasphiole mit «Air de Paris» oder Jean Tinguelys mit Abgas- und Maiglöckchenduft gefüllter Ballon, den er 1959 auf der ersten Pariser Biennale zum Getöse seiner «Méta-Matic Nr. 17» platzen liess – die lange Tradition olfaktorischer Kreativität. Wie man mit Düften manipulatorisch wirkt, zeigt etwa die gemeinsam von Carsten Höller und François Roche erfundene «Hypothèse de grue» – ein Spiel mit dem Wortfeld zwischen Kran und Schnepfe (Dirne): Eine Nebelmaschine stösst den Sexuallockstoff Pheromon aus und dazu weitere nicht deklarierte Neurostimulanzien und macht die ahnungslosen Betrachtenden zu Versuchskaninchen. Wie sich im Bereich der Gerüche Kunst und Wissenschaft, Inspiration und Rationalität verbinden, ist sehr eindrücklich in der Arbeit «The Fear of Smell – the Smell of Fear» der norwegischen Künstlerin Sessel Tolaas zu sehen. Die Arbeit basiert auf einer wissenschaftlichen Studie, welche die Ausdünstungen von Phobikern erforschte. Die Duftmoleküle wurden analysiert und anschliessend synthetisiert und mikroinkapsuliert, sodass die Künstlerin damit die Wände imprägnieren konnte, und die Betrachtenden nun da und dort eine Nase voll nehmen können.

Zur Ausstellung erschien an Stelle eines Katalogs eine 24-seitige Broschüre. Die Beiträge zu einem am 17. und 18. April geplanten Symposium werden später in einer separaten Publikation erscheinen.

Eine ausführliche Besprechung der Ausstellung ist
hier zu finden.

Bilderchronik einer Avantgarde: Ad Petersen im Museum Tinguely

Dreissig Jahre lang, von 1960 bis 1990, hat Ad Petersen (*1931) am Stedelijk Museum in Amsterdam als Konservator gewirkt und wichtige Ausstellungen der Avantgarde organisiert. Und 30 Jahre lang hat er die Künstler und ihre Arbeit als Chronist mit seiner Kamera begleitet. Seine rund 30’000 Schwarzweiss-Aufnahmen dokumentieren nicht nur die wichtigsten Kunst-Ereignisse der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts, sie zeugen auch von der einzigartigen Gabe des autodidaktischen Fotografen, den Künstlern immer als Freund zu begegnen, dem sie Vertrauen schenken konnten. Seine Porträts sind nie inszeniert, vielmehr erfassen sie die Persönlichkeit der Künstler in Momenten, in denen sie ganz bei sich sind. Für die Ausstellung im Museum Tinguely in Basel – vom 27. Februar bis zum 26. Mai 2013 – konzentrierte sich die Kuratorin Annja Müller-Alsbach auf den Freundeskreis Tinguelys und seine Generation, denen Ad Petersen besonders nahe stand. Die Fotografien ergänzte sie mit Dokumenten und Kunst-Stücken aus der privaten Sammlung des Holländers, sodass der Titel der Schau «Les mille lieux de l’art» unwillkürlich auch als eine Hommage an das fiebrige «Milieu» der Kunstszene der sechziger und siebziger Jahre verstanden werden kann, in dem auf beiden Seiten des Atlantiks mit neuen Formen der Kunst und der Kommunikation experimentiert wurde. Es ist ein Glück, dass zur Ausstellung ein sehr schön gestaltetes Bilderbuch erscheint, das neben den fotografischen Dokumenten auch Ad Petersens Erinnerungen an die kreative Avantgarde dauerhaft festhält. Ein ausführlicher Bericht über die Ausstellung und das Buch zur Ausstellung steht hier zur Verfügung.
Annja Müller- Alsbach (Hrsg.): Ad Petersen. Les mille lieux de l’art. Luzern 2013 (Edizioni Periferia). 176 Seiten. CHF 38.00

Rauschenberg bei Tinguely

Gleich auf doppelte Weise ermöglicht das Museum Tinguely in Basel, einen der Pioniere der amerikanischen Moderne, den am 13. Mai 2008 im Alter von 82 Jahren verstorbenen Robert Rauschenberg, kennen zu lernen: Vom 14. Oktober 2009 bis zum 17. Januar 2010 präsentieren der neue Museumsleiter Roland Wetzel und die Kuratorin Annja Müller-Alsbach gleichzeitig die Zusammenarbeit Jean Tinguelys mit seinem amerikanischen Freund «Bob» Rauschenberg und – unter dem Titel «Gluts» – eine Auswahl aus der gleichnamigen Werkgruppe aus dem Spätwerk, die zuerst in der Peggy-Guggenheim-Collection in Venedig gezeigt wurde und von Basel nach Bilbao weiter wandern wird. Gestaltet wurde dieser Teil der Schau von Susan Davidson vom New Yorker Guggenheim-Museum und von David White, Kurator des Rauschenberg-Nachlasses. Mehr...

Rauschenberg: «Trophy III (for Jean Tinguely)»