Zwei Berner Bürgersöhne
10.09.09 17:34 Abgelegt
in:
Medien und
Journalismus
Praktisch
gleichzeitig erhielten zwei aus Bern stammende Publizisten
bürgerlicher Herkunft eine Biografie: Der Professor und liberale
«Weltchronist»
Jean-Rudolf von Salis (oben)
und der Kommunist
Harry Gmür (unten).
Es ist höchst aufschlussreich, die beiden völlig verschiedenen
Lebensläufe neben einander zu erkunden und dabei neben dem
Trennenden das Verbindende zu entdecken: Hier der extravertierte,
nicht uneitle Geschichtsprofessor aus aristokratischem Haus, der
sich zeitlebens in der Öffentlichkeit scheinbar leidenschaftslos
diplomatisch-vorsichtig ausdrückte; dort der introvertierte, von
innerem Feuer brennende, in seinen öffentlichen Rollen als
Publizist und Politiker immer kämpferisch auftretende Einzelgänger.
Beide gehörten – von Salis mit Jahrgang 1901, Gmür mit Jahrgang
1908 – derselben Generation an.

Beide
machten während des Studiums im Ausland für ihr Leben entscheidende
politische und kulturelle Erfahrungen. Beide waren – jeder auf
seine Weise – unzweifelhaft überzeugte Patrioten. Und beide hatten
in ihrem politischen Sensorium einen blinden Fleck: Gmür
interpretierte die europäische Einigung nach dem Zweiten Weltkrieg
als antikommunistische Verschwörung und übersah die
friedensstiftende Idee hinter dem Konzept, während sich von Salis
nie von seiner eurozentrischen Perspektive lösen konnte. Die
Entkolonialisierung Afrikas, die Harry Gmür mit Enthusiasmus
begleitete, lag weit ausserhalb seiner Interessen. Gemeinsam war
den beiden ungleichen Zeitgenossen, dass sie in ihren Milieus mit
Misstrauen beobachtet wurden. Jean-Rudolf von Salis, der seinen
Standpunkt selbst als «liberal-sozial» umschrieb, geriet wegen
seiner Distanzierung vom grassierenden Antikommunismus der
offiziellen Schweiz und seinem leidenschaftlichen Engagement für
eine offene, niemanden ausschliessende politische Debatte in den
Ruch, heimlich ein Linker zu sein. Und Harry Gmür machte sich mit
der freundlichen und humorvoller Art seines Umgangs mit Andern bei
vielen seiner Genossen verdächtig. Der Staatsschutz hatte beide
während Jahrzehnten im Visier. Eine ausführliche Besprechung der
Biografie Harry Gmürs findet sich hier.
Und auch die Rezension des Buchs über Jean-Rudolf von Salis
beginnt hier.
Tags:Harry Gmür, Jean-Rudolf von Salis, Schweiz Geschichte, Mediengeschichte, «ABC», Partei der Arbeit