Von der Heftlifabrik
zum Multimedia-Konzern


Der Ringier-Verlag, das grösste private Medien-Unternehmen der Schweiz, ist 175 Jahre alt. Aus der einstigen Zofinger Dorfdruckerei entstand in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts die volkstümliche Ringgi-Heftlifabrik, dann – nach der Gründung des «Blick» – der dämonische Meinungsmacher «Springier» und später, nach dem Fall der Berliner Mauer und der Öffnung der asiatischen Märkte, ein (fast) weltweit tätiger Multimedia-Konzern.

Karl Lüönds schön gestaltete und lebendig geschriebene Festschrift «Ringier bei den Leuten» zeigt, dass die Entwicklung des Familienunternehmens weit weniger geradlinig verlief, als dies oft den Anschein machte.

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Weiteres Material zur jüngeren Geschichte des Ringier-Verlags, über den «Blick» und das gescheiterte Magazin «Die Woche» gibt es
hier.
Lify Buchers langes Leben


Als «Süss & bitter» beschreibt Silvana Schmid das Leben ihrer Mutter Lify Bucher (1899 - 1999), der Enkelin des Obwaldner Hotelkönigs Franz Joseph Bucher. Süss waren Kindheit und Jugend im Grandhotel «Méditerranée» in Pegli bei Genua, zartbitter ihre Vernunftehe mit dem Zahlenmenschen Walter Hoefliger und bitter – zeitweise – ihr späteres Leben als allein erziehende Mutter, die erst lernen musste, sich «zwischen Bourgeoisie und Bohème» zu behaupten. Über die Biografie einer aussergewöhnlichen, starken Frau hinaus, bietet Sil Schmids Buch ein lebendiges Jahrhundertpanorama vom nur scheinbar unaufhaltsamen Aufstieg der Pionier-Generationen der Schweizer Tourismus- und Schoggi-Industriellen in die feine Gesellschaft.

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Silvana Schmid: Süss & bitter. Lify Bucher,
1899 - 1999, ein Leben zwischen Bourgeoisie und Bohème. Zürich 2008 (Limmat-Verlag). 304 Seiten, 60 Fotos. CHF 44.80, € 27.50.
Plädoyer für Sachlichkeit

Weil er «nicht akzeptieren» will, «dass Unsicherheiten bei Umweltgefahren und offene Fragen bei Gesundheitsrisiken missbraucht werden, um Ängste zu erzeugen», beschreibt der Radiojournalist Alex Reichmuth in seinem Buch «Verdreht und hochgespielt» auf über 300 Seiten wie «Umwelt- und Gesundheitsgefahren instrumentalisiert werden». Von der Vogelgrippe-Panik bis zum Feinstaub-Problem, von der «Mobilfunkstrahlung» bis zur Agrobiotechnologie und zum Waldsterben belegt er, wie sorglos Medien und Politik mit wissenschaftlichen Untersuchungsergebnissen hantieren und dabei eine permanente Alarmstimmung erzeugen. Dagegen setzt der gelernte Naturwissenschaftler Reichmuth nun sein «Plädoyer für mehr Sachlichkeit und weniger Ideologie».

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Alex Reichmuth: Verdreht und hochgespielt. Wie Umwelt- und Gesundheitsgefahren instrumentalisiert und hochgespielt werden. Zürich 2008 (Verlag Neue Zürcher Zeitung), 312 Seiten, CHF 38.00, € 24.00
Mit scharfem Blick

Die Radio-Macher des Kultursenders DRS 2 reagierten auf Margrit Sprechers Buch «Das andere Radio – DRS 2» privatim und hinter vorgehaltenen Händen schwer gekränkt und coram publico aggressionsgehemmt indigniert – nach Art des Hauses gediegen, versteht sich.

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Man darf sich die Freude lebhaft vorstellen, welche die Kolleginnen und Kollegen bei Radio DRS 2 packte, als sie erfuhren, dass die Grand Lady der Schweizer Publizistik, die hoch dekorierte Edelfeder Margrit Sprecher den Auftrag angenommen hatte, ein Jubiläums-Buch über «das Schweizer Kulturradio» zu schreiben. Unterstützt von der jungen, ebenfalls preisgekrönten Porträt-Fotografin Lucia Degonda freuten sie sich auf eine gut geschriebene, fotografisch schön dekorierte Präsentation ihrer wichtigen Aufgabe als Kulturvermittler mit rekordhohen fünf Prozent Höreranteil, als bedeutendste Kulturveranstalter des Landes und als einmalig polyvalente Kulturproduzenten.

Der Schreck-Schock muss heftig gewesen sein, als klar wurde, dass die pensionierte Journalistin mit dem grossen Namen den Auftrag keineswegs als Gefälligkeits-Geschäft verstanden, sondern als journalistische Herausforderung angenommen hatte. Unbefangen und mit professioneller Distanz liess sie sich auf den Gegenstand ihrer Beschreibung ein und nutzte ihre besondere Begabung, als höfliche, oft als naiv wahrgenommene Zuhörerin und Beobachterin aufzutreten und sich gleichzeitig mit scharfem Verstand alles Eigentümliche, Ungewöhnliche, Bizarre, Kuriose, Komische einer Situation oder Person einzuprägen.

Dass Margrit Sprecher ein Buch nach ihrer eigenen Fasson schreiben würde, hätte also niemanden überraschen dürfen. Grund zur Überraschung hatte vielmehr die Autorin, als sie merkte, dass ihre Hommage an das Schweizer Kulturradio bei den Kolleginnen und Kollegen anders ankam, als sie erwartet hatte. Ihre Distanz schaffende Ironie interpretierten sie als Häme, ihre Bemerkungen über die (tatsächlich traumhaften) Arbeitsbedingungen als Angriff auf die Berufsehre, und die Beschreibung der DRS 2-Studios als Sanatorium missverstanden sie als Anspielung auf Blochers Vergleich der Bundesverwaltung mit geschützten Werkstätten. Vielleicht wäre es gut, wenn die Damen und Herren Kulturjournalisten wieder einmal den «Zauberberg» läsen, um sich in Erinnerung zu rufen, wie es in einem Sanatorium zugeht: gewöhnlich still und ruhig, manchmal aber wild und heftig.
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Margrit Sprecher: Das andere Radio – DRS 2. Reportagen vom Bruderholz. Fotos von Lucia Degonda. Zürich 2008 (Verlag Neue Zürcher Zeitung) 240 Seiten. CHF 48.00/ € 32.00.
Romantische Färbung

Als junger Propagandist der Weltrevolution gescheitert, machte der Berner Bürgersohn Harry Gmür in der zweiten Lebenshälfte als herausragender Reporter und viel gelesener Reiseschriftsteller Karriere – unter Pseudonym und in der DDR.

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Äusserlich hatte Harry Gmür nie etwas von einem Revoluzzer. Bilder des jung Verheirateten auf einer Italienreise zeugen ebenso von gediegener Bürgerlichkeit wie spätere Fotografien aus Moskau. 1945, an der Hochzeit seines Bruders Rudolf im Berner Münster trug der Chefredaktor des kommunistischen «Vorwärts» standesgemäss einen Frack. Und 1959, auf Reportage in Afrika, fiel er dem Kollegen von der «Neuen Zürcher Zeitung» als «sehr soignierter Herr bürgerlichster Herkunft» auf.

Im Geist dagegen war Harry Gmür ein Radikaler: Noch als Mitglied der SP trat er, um seiner fundamental linken Vorstellungen willen, heimlich der Kommunistischen Partei bei; er nahm Bespitzelung und Verhaftungen in Kauf; und er verteidigte den Stalinismus noch, als auch die letzten halbwegs vertretbaren Argumente längst obsolet geworden waren. Dass ihn seine Genossen vor allem als Vorzeige-Akademiker brauchten, den sie, als er kampfesmüde wurde und die Säuberungen in der zunehmend paranoiden Partei nicht mittragen mochte, konsequent kaltstellten, wollte er – im Gegensatz zu seiner Frau – nie wirklich wahrhaben.

Am 14. Mai 1908, als Harry Gmür als erstes Kind des Ehepaars Max und Clara Gmür-Fischer in Bern geboren wurde, schien ihm eine grossbürgerliche Zukunft sicher: Seine Mutter, zweisprachig in Paris erzogen, stammte aus einer begüterten Händler-Dynastie, die ihren Reichtum in Singapur und Paris erworben hatte. Der Vater, in St. Gallen aufgewachsen, machte an der Uni Bern schon in jungen Jahren als Rechtshistoriker Karriere.
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Markus Bürgi, Mario König: Harry Gmür. Bürger, Kommunist, Journalist. Biographie, Reportagen, politische Kommentare. Zürich 2009 (Chronos Verlag).320 S. CHF 38.00,
€ 24.00.
Beinahe ein Monstrum

Kein anderer Intellektueller entfaltete in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts einen so legendären Einfluss auf die öffentliche Meinung der Schweiz wie Jean Rudolf von Salis. Wie es dazu kam, beschreibt – kenntnisreich und ausgewogen – sein Historiker-Kollege Urs Bitterli.

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Liest man die Charakterisierungen auf dem Umschlag von Urs Bitterlis Von-Salis-Biografie, so ist nur schwer vorstellbar, dass sie alle derselben Person zugeschrieben wurden: Der Linke Walther Bringolf lobte ihn einen «Geistesaristokraten». Die Journalistin Klara Obermüller, die ein langes Gespräch mit ihm veröffentlichte, nannte ihn «einen der unideologischsten Menschen, die ich … kennengelernt habe». Für Friedrich Dürrenmatt war er ein «Landedelmann», ein «Berner und Bündner Causeur», ein «Menschenkenner mit Humor und Güte» , zudem «Journalist aus Zivilcourage», kurz «einer jener Zeitgenossen, die rar sind». Der langjährige NZZ-Feuilletonchef Hanno Helbling fragte: «War er ein Aussenseiter? Verkörperte er das Establishment?» und kam zum Schluss: «Er war in der Schweizer Szene jahrzehntelang eine Hauptperson.»

In der Tat! Mit seiner nachhaltigen Leistung als Autor der wöchentlichen Weltchronik für den Landessender Beromünster wurde Jean Rudolf von Salis für eine ganze Generation zum Inbegriff des neutralen Beobachters auf dem Schweizer Balkon über dem Weltkriegs-Theater. Und so bekannt geworden, wurde der kontaktfreudige ETH-Professor in den folgenden Jahrzehnten in politischen und kulturellen Milieus zur landesweit respektierten Instanz. Dabei, das arbeitet Bitterlis Biografie deutlich heraus, war lange Zeit das inhaltliche Profil weniger wichtig als die Präsenz des berühmten Homme de Lettres.

Es erscheint vielleicht als Nebenaspekt, aber der «grosse Name» von Salis, der Schriftsteller, Journalisten, Politiker jahrzehntelang faszinierte, passte nahtlos zu von Salis’ eigener Begeisterung für die Berühmten und Einflussreichen. Herbert Lüthy beschrieb das Interesse an der Geschichte seines Kollegen höflich als «Interesse an dem Menschen, die sie machten… Salis war immer und fast unersättlich bestrebt, Menschen kennenzulernen, die der Zeit ihr Gepräge gaben.»
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Urs Bitterli: Jean Rudolf von Salis. Historiker in bewegter Zeit.Mit einer Audio-CD von Hanspeter Gschwend. Zürich 2009 (Verlag Neue Zürcher Zeitung) 296 Seiten,
CHF 48.00, € 31.00.
Illegaler Eindringling

Felix Stössingers Aufzeichnungen über seine Flucht aus Frankreich und seine Tagebücher, die er ab Oktober 1942 als Internierter in Schweizer Auffanglagern führte, verdienen als einzigartiges und authentisches Zeitdokument weite Verbreitung.

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Nach der Lektüre ist es ganz und gar unverständlich, dass Felix Stössingers Berichte über das Drama seiner Flucht aus Frankreich und sein Tagebuch, das er als Internierter in Schweizer Auffanglagern verfasste, erst jetzt – und eher zufällig – publiziert wurden. Denn so detailliert haben Wenige berichtet, die 1942 in letzter Minute der Deportation aus Vichy-Frankreich in die Schweiz entkommen konnten. Und so kritisch und selbstkritisch hat niemand aus militärisch geführten Auffanglagern – notabene im Auftrag eines Lagerkommandanten – Tagebuch geführt.

Am späten Nachmittag des 21. September 1942 überquerten Felix und Charlotte Stössinger mit ihrem Sohn Hans Michael Freisager bei St-Gingolph die Schweizer Grenze. Der Schlepper, der sie für ein Handgeld von 3000 Francs rettete, war der Polizeichef von Thonon. Dass Heinrich Rothmund, Chef der Polizeiabteilung, am 13. August die Grenzen hatte dichtmachen lassen, wussten sie nicht. Ihr Glück war, dass sich die Behörden durch eine gewaltige Protestwelle im Land zu einer – vorübergehenden – Lockerung genötigt sahen, zumal sich das Parlament in Bern gerade zur Herbstsession versammelte.
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Simon Erlanger. Peter-Jakob Kelting (Hg.): Interniert in Schweizer Flüchtlingslagern. Tagebuch des jüdischen Autors Felix Stössinger 1942/43. Basel 2011 (Christoph Merian Verlag), 544 Seiten, CHF 38.00, € 28.00.

Bizarres Spiel um Macht

In seinem Buch «Enteignete Zeitung?» erzählt der Journalist Christian Mensch die turbulente Geschichte der «Basler Zeitung» als «Lehrstück über den Medienwandel». Der Autor stützt sich zum grössten Teil auf eigene, früher publizierte Recherchen und auf Gespräche mit Akteuren.

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Dass er befangen ist, räumt der Recherche-Journalist Christian Mensch ohne weiteres ein. Er ist Beteiligter und Leidtragender der grotesken Geschichte der «Basler Zeitung», die am 1. Februar 1977 als Fusionsprodukt aus den bürgerlich-konservativen «Basler Nachrichten» (BN) und der links-liberalen «National-Zeitung« (NZ) begann und am 14. Dezember 2011 in der Geiselhaft einiger reicher national-konservativer Geldgeber ein vorläufiges Ende fand. Ähnlich geht es dem Verfasser dieser Besprechung, der von 1972 bis 1977 im Journalisten-Treibhaus «National-Zeitung» sein Handwerk lernen durfte.

Während sich Christian Mensch in seinem Buch um grösstmögliche Sachlichkeit bemüht, tut sich der Rezensent, der sich – wie viele seiner Generation – mit Wehmut an seine Zeit bei der NZ und mit Wut an die gesichtslose BaZ der Vor-Blocher-Zeit erinnert, weniger Zwang an. Denn, wie Mensch es mehrfach antönt: Das Übel begann mit der Fusion der beiden unvereinbaren Konkurrenten, die auch journalistisch zwei Traditionen verkörperten und ihr je eigenes Publikum bedienten: Im Zweifel rechts die den Konventionen des bürgerlichen Basel verpflichteten BN, im Zweifel links die für den auf Veränderung setzenden Zeitgeist engagierte NZ.
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Christian Mensch: Enteignete Zeitung? Basel 2012 (Schwabe). 240 Seiten, CHF 24.00


Geschichte der «Basler Zeitung» zum Zweiten: In den Orkus

Als Geschäft zeitweise ein Erfolg, als publizistisches Projekt hingegen von Anfang an ein Desaster: Das Fusionsprodukt «Basler Zeitung» kämpft seit bald 36 Jahren um die Gunst des Publikums.

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Vier Autorinnen und Autoren versuchen, die Geschichte der «Basler Zeitung» fassbar zu machen. Sie haben Zeitzeugen befragt, Archive durchstöbert und Firmenakten gelesen. Unter dem Titel «Herausgefordert» brachten sie den Materialberg in eine lesbare Form.

Dieses schwierige Geschäft gelang – erwartungsgemäss – nur zum Teil. Es gibt im Buch Fehlurteile und Einseitigkeiten. Das ist verständlich, weil wichtige Zeugen nicht mehr am Leben sind. Und eine schlüssige Erklärung, weshalb das Blatt allen Faceliftings und allen journalistischen Bemühungen zum Trotz publizistisch ein Fehlschlag blieb, darf man nicht erwarten.

Gleichwohl ist dem Werk über das Medien- und Verlagsmilieu hinaus eine grosse Leserschaft zu wünschen. Es macht fassbar, welch labile Gebilde Redaktionen sind, und wie leicht es ist, sie aus dem Gleichgewicht zu bringen. Und es beschreibt, erstmals und aus gebührender Distanz, weshalb die «Basler Zeitung» eine publizistische Fehlgeburt geblieben ist.

Das Buch hat drei Schwerpunkte. Im ersten wird die Geschichte der Vorgänger-Zeitungen «Basler Nachrichten» und «National Zeitung» erzählt, ihr Inneres nach aussen gestülpt und beschrieben, wie die Redaktionen vor der Fusion tickten. Die beiden Zeitungsporträts werden sodann in den Kontext der Schweizer Presselandschaft der siebziger Jahre gestellt. Im zweiten Teil liegt der Fokus auf der Fusion selbst: Wer hat sie angestossen und weshalb? Wer waren die handelnden Personen? Und wie rechtfertigten sie das Zusammengehen? Und im dritten Teil, schliesslich, wird die Geschichte des Fusionsprodukts Basler Zeitung rekonstruiert, das Auf und Ab des Geschäfts von der verhängnisvollen Hunter-Strategie der achtziger und neunziger Jahre bis zu den grotesken Schleiertänzen der Investoren Tettamanti und Blocher und dem armen Moritz Suter, der für sie den Kasper machte.
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Walter Rüegg (Hrsg.): Herausgefordert. Die Geschichte der Basler Zeitung. Basel 2012 (Merian Verlag). 352 Seiten, CHF 34.00.