Selbstbewusste Journalisten

Wie langwierig das Aufräumen und Entsorgen von Archivschachteln und verstaubten alten Zeitschriften ist, weiss jede und jeder, die sich im fortgeschrittenen Alter auf einen Umzug vorbereitet. Stundenlang hockt man auf dem Boden und liest, was man vor vielen Jahren weglegte, um es später als Erinnerungsstütze zu nutzen oder der Nachwelt zu erhalten. Die «Stern»-Ausgaben mit den gefälschten Hitler-Tagebüchern gehören zweifellos zu dieser Art von Erinnerungsstücken. Jetzt, beim Blättern in den staubigen Zeitschriften, zeigt sich aber, dass weniger die in vielen Publikationen beschriebene Fälschungs-Geschichte bleibendes Interesse verdient, als vielmehr der Aufstand der «Stern»-Redaktion gegen die Art, wie die Verlagsmanager die Krise zu bewältigen suchten. Klar, dass die verantwortlichen Chefredaktoren sofort zurücktreten mussten. Ebenso klar, dass sofort neue Leute nachrücken sollten. Als aber Herausgeber Nannen und Verleger Schulte-Hillen über Nacht und ohne Konsultation der Redaktionsgremien zwei für ihre konservativen Ansichten notorische Kollegen installieren wollten – Johannes Gross und Peter Scholl-Latour – brach ein Sturm los, den man sich heute kaum mehr vorstellen kann. Knallhart und selbstbewusst stellten die Redaktorinnen und Redaktoren ihre Forderungen und verteidigten ihre Rechte. Was für ein Kontrast, wenn wir daran denken, dass in der Schweiz (und nicht nur hier) die progressiven Journalistinnen und Journalisten schon vor Jahren Deckung in einer «Mediengewerkschaft» gesucht haben, und dass sie nun daran sind, sich in einem noch grösseren Gebilde zu verkriechen – in der (falschen) Hoffnung, auf diese Weise irgendwann, vielleicht, wenigstens wieder einen Tarifvertrag mit den Verlegern durchsetzen zu können. Man mag einwenden: Damals beim «Stern» sei es leicht gewesen, gemeinsam zu handeln, da das journalistische Selbstverständnis auf elementare Weise verletzt worden war. Heute wäre es unmöglich und töricht, eine Redaktion zu besetzen. Gewiss! Heute müssten wir zuerst darüber diskutieren, ob es das überhaupt noch gibt: ein gemeinsames journalistisches Selbstverständnis. Die Lektüre des denk-würdigen Tagebuchs der «Stern»-Redaktion tut in jeder Hinsicht gut: als Mutmacher und historisches Lehrstück. Mehr... Und auch die Reaktionen der Kolleginnen und Kollegen aus dem In- und Ausland verdienen es, aufbewahrt zu werden. Hier steht eine Auswahl, die der «Stern» publizierte, zur Verfügung.