Lisa Marleen Grenzebach

Katja Aufleger im Museum Tinguely

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Es ist die erste Einzelausstellung in der Schweiz, welche das Museum Tinguely in Basel der in Berlin lebenden Künstlerin Katja Aufleger (geb. 1983 in Oldenburg) vom 1. Dezember 2020 bis 14. März 2021 ausrichtet. Kuratiert von Lisa Marleen Grenzebach, hat die Schau unter dem Titel «GONE» ihren Mittelpunkt im Vorraum zu Tinguelys beklemmendem Alterswerk «Mengele-Totentanz». Hier fällt zuerst die Videoarbeit «The Glow» von 2019 ins Auge: Auf einer grossen Leinwand tanzen Fische durchs Wasser, dazu hört man ab und zu ein Klackern, das scheinbar das Fischballett begleitet. Nach einiger Zeit ist allerdings klar, dass die akustische Begleitung nur sporadisch ist, und
The Glow
dass es sich bei dem Meeresgetier um kunstvoll gestaltete, mit Angelhaken behängte Köder handelt. Der Film, erläutert der Saaltext, ist eine Montage aus Youtube-Sequenzen, die als Lehrmaterial für Angler gedacht sind. Entsetzen oder mindestens deutliches Unbehagen auslösende Scherze wie die Sache mit dem eleganten, mit tödlichen Haken bewehrte Köderballett sind in Katja Auflegers Œuvre keine Ausnahme. Objekte kommen ganz und gar harmlos daher und entpuppen sich alsbald als gefährliche Gegenstände. Auf Augenhöhe begegnen uns merkwürdig in einander verschlungene farbige Glasgefässe; «Bang!» ist der Titel, der signalisiert, dass wir die hübsch-farbigen, 2013-2016 entstandenen Behältnisse mit den scharfkantigen Hälsen und dem mutmasslich explosiven Inhalt lieber nicht auf unserem Sideboard aufstellen möchten. Es gehört offensichtlich zum Reiz dieses Spiels, dass wir nicht wissen, was wirklich in den Glaskörpern ist. (Unwillkürlich kommt uns Piero Manzonis «Merda d’artista» von 1961 in den Sinn…) Die Sache wiederholt sich im Erdgeschoss, wo «Newton’s Craddle» (2013/2020) angeblich die Bestandteile von Nitroglycerin – Glycerin, Salpetersäure, Schwefelsäure –
Newtonpendel
enthalten. Mit der «Newton-Wiege» oder «Kugelstoss-Pendel» genannten Vorrichtung demonstrierte der französische Physiker Edme Mariotte 1673, dass im elastischen Stoss die kinetische Energie und der Impuls erhalten bleiben. Nun sollen wir uns vorstellen, was geschieht, wenn jemand das explosive Pendel mit den drei 10-Liter-Kolben gleich neben Tinguelys begehbarer «Méta-Maxi-Maxi-Utopia» in Bewegung setzt. Vielleicht ist die Annahme nicht ganz falsch, dass nicht mehr als ein Scherbenhaufen zu befürchten wäre. Aber wer möchte sich darauf verlassen? Das Descarte’sche Zweifeln («dubito ergo sum»), die Ungewissheit der Wahrnehmung ist für die Kunst konstitutiv. Katja Aufleger beherrscht auch subtilere Methoden, Angstlust zu vermitteln: Zwischen den verstörenden Glasgefässen mit dem mutmasslich gefährlichen Inhalt und der Fischköder-Projektion platzierte die Künstlerin einen farbfröhlichen Hexenring aus einer Sammlung etikettenloser Putzmittel-Plasticflaschen. «Die eigentliche Funktion der Flüssigkeiten ist das Entfernen von Schmutz oder im übertragenen Sinne: von Spuren der Vergangenheit», erläutert Kuratorin Lisa Marleen Grenzebach in ihrem aufschlussreichen
«Hexenring»
Katalogbeitrag. Unser Fazit: Katja Aufleger aktualisiert mit ihrem intellektuell aufgeladenen Schaffen die Konzeptkunst, die in der Mitte des letzten Jahrhunderts Ideen und Wahrnehmungen auf neue Art – mit Schrottmaschinen (Tinguely) ebenso wie mit weiss getünchten Galeriewänden (Yves Klein) oder theatralischen Performances – erfahrbar machte, und hebt sie auf eine neue Stufe.

Zur Ausstellung erschien ein raffiniert schlicht gestalteter Katalog, der das bisherige Schaffen von Katja Aufleger über die ausgestellten Werke hinaus umfassend dokumentiert. Die Publikation enthält Beiträge von Roland Wetzel, Lisa Marleen Grenzebach und Quinn Latimer.
Lisa Marleen Grenzebach (Hrsg. für das Museum Tinguely): Katja Aufleger, GONE. Basel/Berlin 2020 (Museum Tinguely/Distanz Verlag). 100 Seiten, CHF 28.00.
Als besonders nützlich erweist sich das Saalblatt, weil es die ausgestellten Objekte nicht nur erläutert, sondern auch beschreibt, wo sie im Museum zu finden sind.

Illustrationen: Porträt (© Andrzej Steinbach); «The Glow» (Filmstill, © Courtesy of the artist, Galerien Stampa, Basel, und Conradi, Hamburg). Bilder aus der Ausstellung: «Newton’s Cradle» und «And he tipped gallons oaf black in my favorite blue» (© Jürg Bürgi, 2020).