Wayne Thiebaud

Wayne Thiebaud in der Fondation Beyeler

Wayne_Thiebaud
Mit grosser Sorgfalt kuratiert von Ulf Küster, präsentiert die Fondation Beyeler in Riehen vom29. Januar bis 21. Mai 2023 eine umfassende Retrospektive auf das Werk des amerikanischen Malers Wayne Thiebaud. Zu sehen sind 65 Gemälde und Zeichnungen, die beispielhaft sowohl die Sujets wie auch die handwerkliche Raffinesse von Thiebauds Kunst demonstrieren. Geboren 1920 in Mesa, Arizona, aufgewachsen in Kalifornien, wo er während Jahrzehnten lebte und an Weihnachten 2021 im Alter von 101 Jahren starb, war Thiebauds seit den frühen 1960er-Jahren berühmt für seine der Pop-Art zugerechneten ikonischen Bilder von Tortenauslagen, Mickey-Maus-Figuren, Lippenstiften, Spielautomaten und Farbkübeln. Hohes Ansehen genoss er auch als Professor für Malerei an der University of California, Davis.
Masterpieces klein
Beim Rundgang durch die Ausstellung fällt schnell auf, dass die Etikettierung dieser Kunstwerke als Pop-Art auf irritierende Art oberflächlich wirkt. Zwar ist die ironische Distanz zu den Verlockungen der amerikanischen Überfluss-Ökonomie auch ein Charakteristikum von Wayne Thiebauds Blick auf seine Umwelt. Doch mindestens so stark ist bei ihm Melancholie spürbar. In den üppigen Tortenauslagen ebenso wie in den Blicken und Haltungen der porträtierten Menschen widerspiegelt sich die Schattenseite des zwanghaft optimistischen American Way of Life. Es ist verständlich, dass der Künstler der Zuschreibung seines Werks zur Pop-Art ablehnend gegenüberstand. Wir werden ihm wohl eher gerecht, wenn wir ihn der Verwandtschaft von Edward Hopper zurechnen und uns an den Freiheitsbegriff der Existentialisten erinnern, der von der Erfahrung von Absurdität, Langeweile, Ekel und Angst geprägt ist. Folgen wir dem überaus lesenswerten Essay Ulf Küsters im aufschlussreichen Katalog zur Ausstellung, so sollten wir unsere Aufmerksamkeit ohnehin weniger den Motiven als vielmehr der malerischen Umsetzung schenken. «Thiebaud», schreibt Küster, «zeigt mit seinen Bildern immer das Sowohl-als-auch von Malerei: sowohl die Illusionistische Darstellung von wiedererkennbaren Dingen als auch Farbe in unterschiedlicher Dichte und Verteilung.» Malerei, heisst es weiter, «kann immer sowohl gegenständlich als auch ungegenständlich sein. Sie ist jedenfalls immer einem Abstraktionsprozess unterworfen, der bei der Übertragung einer als dreidimensional empfundenen Wirklichkeit auf
Eating Figures klein
die zweidimensionale Fläche des Malgrunds vonstatten geht.» Wayne Thiebaud kannte sich in der Kunstgeschichte überdurchschnittlich gut aus, weshalb wir das Bild «35 Cent Masterworks» von 1970-72 als Schlüssel zu seinen künstlerischen Vorbildern lesen können. Unter den 12 Meistern ist Diego Velázquez (1599-1660) der älteste, die übrigen repräsentieren auf je eigene Weise die Malerei der Moderne – vom amerikanischen Realisten Thomas Eakins (1844-1916) bis zum italienischen Surrealisten Giorgio de Chirico (1888-1978). Für das Verständnis von Thiebauds Malerei ist die Präsenz des abstrakten Malers par excellence, des Holländers Piet Mondrian, besonders interessant. Er ist mit seinem «Tableau No. IV» von 1924/25 vertreten, einem Bild, das die Wirkung der Kombination von Primärfarben demonstriert. Zufällig ist das nicht, wenn man sich beim Betrachten von Thiebauds Werken auf seine Maltechnik konzentriert. Zuerst stechen die grosszügig dick aufgetragenen Farben ins Auge; und gleich darauf bemerken wir die feinen farbigen Linien, aus denen einzelne Flächen zusammengesetzt sind. Man betrachte etwa die Schürsenkel des Mannes auf dem Barhocker («Eating Figures», 1963).
Schuhbändel klein
Auch auf dem erwähnten Gemälde mit der Vorbilder-Sammlung sind feine farbige Linien zu entdecken. Dass diese Technik offensichtlich keine Marotte aus dem Anfang seiner Künstlerkarriere war, belegt das Bild von zwei Hochzeitstorten («Two Wedding Cakes»), das der 95-jährige 2015 malte. Die Ausstellung Das Werk von Wayne Thiebaud, das in der Schweiz noch nie und in Europa nur selten zu sehen war, ist eine faszinierende Entdeckung. Und die Ausstellung in der Fondation Beyeler ist jederzeit einen Umweg wert.

Zur Ausstellung erschien ein sehr schön gestalteter Katalog mit einem überaus lesenswerten Essay des Herausgebers und Kurators Ulf Küster, sowie dem vollständigen Text eines Interviews mit Jason Edward Kaufman, in dem der hochbetagte Künstler über sein Lebenswerk Auskunft gab. Weitere Beiträge von Janet Bishop und der Assistenzkuratorin Charlotte Sarrazin.
Ulf Küster (Hrsg. für die Fondation Beyeler): Wayne Thiebaud. Berlin 2023 (Hatje Cantz Verlag), 160 Seiten, CHF 62.50.

Illustrationen von oben nach unten: Wayne Thiebaud (©Wikipedia), «35 Cent Masterworks»,1970-72; «Eating Figures (Quick Snacks)», 1963; Bilder © Wayne Thiebaud Foundation/2022, Pro Litteris, Zurich «Eating Figures» (Detail, Foto Ausstellung © Jürg Bürgi 2023).