Ulf Küster

Wayne Thiebaud in der Fondation Beyeler

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Mit grosser Sorgfalt kuratiert von Ulf Küster, präsentiert die Fondation Beyeler in Riehen vom29. Januar bis 21. Mai 2023 eine umfassende Retrospektive auf das Werk des amerikanischen Malers Wayne Thiebaud. Zu sehen sind 65 Gemälde und Zeichnungen, die beispielhaft sowohl die Sujets wie auch die handwerkliche Raffinesse von Thiebauds Kunst demonstrieren. Geboren 1920 in Mesa, Arizona, aufgewachsen in Kalifornien, wo er während Jahrzehnten lebte und an Weihnachten 2021 im Alter von 101 Jahren starb, war Thiebauds seit den frühen 1960er-Jahren berühmt für seine der Pop-Art zugerechneten ikonischen Bilder von Tortenauslagen, Mickey-Maus-Figuren, Lippenstiften, Spielautomaten und Farbkübeln. Hohes Ansehen genoss er auch als Professor für Malerei an der University of California, Davis.
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Beim Rundgang durch die Ausstellung fällt schnell auf, dass die Etikettierung dieser Kunstwerke als Pop-Art auf irritierende Art oberflächlich wirkt. Zwar ist die ironische Distanz zu den Verlockungen der amerikanischen Überfluss-Ökonomie auch ein Charakteristikum von Wayne Thiebauds Blick auf seine Umwelt. Doch mindestens so stark ist bei ihm Melancholie spürbar. In den üppigen Tortenauslagen ebenso wie in den Blicken und Haltungen der porträtierten Menschen widerspiegelt sich die Schattenseite des zwanghaft optimistischen American Way of Life. Es ist verständlich, dass der Künstler der Zuschreibung seines Werks zur Pop-Art ablehnend gegenüberstand. Wir werden ihm wohl eher gerecht, wenn wir ihn der Verwandtschaft von Edward Hopper zurechnen und uns an den Freiheitsbegriff der Existentialisten erinnern, der von der Erfahrung von Absurdität, Langeweile, Ekel und Angst geprägt ist. Folgen wir dem überaus lesenswerten Essay Ulf Küsters im aufschlussreichen Katalog zur Ausstellung, so sollten wir unsere Aufmerksamkeit ohnehin weniger den Motiven als vielmehr der malerischen Umsetzung schenken. «Thiebaud», schreibt Küster, «zeigt mit seinen Bildern immer das Sowohl-als-auch von Malerei: sowohl die Illusionistische Darstellung von wiedererkennbaren Dingen als auch Farbe in unterschiedlicher Dichte und Verteilung.» Malerei, heisst es weiter, «kann immer sowohl gegenständlich als auch ungegenständlich sein. Sie ist jedenfalls immer einem Abstraktionsprozess unterworfen, der bei der Übertragung einer als dreidimensional empfundenen Wirklichkeit auf
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die zweidimensionale Fläche des Malgrunds vonstatten geht.» Wayne Thiebaud kannte sich in der Kunstgeschichte überdurchschnittlich gut aus, weshalb wir das Bild «35 Cent Masterworks» von 1970-72 als Schlüssel zu seinen künstlerischen Vorbildern lesen können. Unter den 12 Meistern ist Diego Velázquez (1599-1660) der älteste, die übrigen repräsentieren auf je eigene Weise die Malerei der Moderne – vom amerikanischen Realisten Thomas Eakins (1844-1916) bis zum italienischen Surrealisten Giorgio de Chirico (1888-1978). Für das Verständnis von Thiebauds Malerei ist die Präsenz des abstrakten Malers par excellence, des Holländers Piet Mondrian, besonders interessant. Er ist mit seinem «Tableau No. IV» von 1924/25 vertreten, einem Bild, das die Wirkung der Kombination von Primärfarben demonstriert. Zufällig ist das nicht, wenn man sich beim Betrachten von Thiebauds Werken auf seine Maltechnik konzentriert. Zuerst stechen die grosszügig dick aufgetragenen Farben ins Auge; und gleich darauf bemerken wir die feinen farbigen Linien, aus denen einzelne Flächen zusammengesetzt sind. Man betrachte etwa die Schürsenkel des Mannes auf dem Barhocker («Eating Figures», 1963).
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Auch auf dem erwähnten Gemälde mit der Vorbilder-Sammlung sind feine farbige Linien zu entdecken. Dass diese Technik offensichtlich keine Marotte aus dem Anfang seiner Künstlerkarriere war, belegt das Bild von zwei Hochzeitstorten («Two Wedding Cakes»), das der 95-jährige 2015 malte. Die Ausstellung Das Werk von Wayne Thiebaud, das in der Schweiz noch nie und in Europa nur selten zu sehen war, ist eine faszinierende Entdeckung. Und die Ausstellung in der Fondation Beyeler ist jederzeit einen Umweg wert.

Zur Ausstellung erschien ein sehr schön gestalteter Katalog mit einem überaus lesenswerten Essay des Herausgebers und Kurators Ulf Küster, sowie dem vollständigen Text eines Interviews mit Jason Edward Kaufman, in dem der hochbetagte Künstler über sein Lebenswerk Auskunft gab. Weitere Beiträge von Janet Bishop und der Assistenzkuratorin Charlotte Sarrazin.
Ulf Küster (Hrsg. für die Fondation Beyeler): Wayne Thiebaud. Berlin 2023 (Hatje Cantz Verlag), 160 Seiten, CHF 62.50.

Illustrationen von oben nach unten: Wayne Thiebaud (©Wikipedia), «35 Cent Masterworks»,1970-72; «Eating Figures (Quick Snacks)», 1963; Bilder © Wayne Thiebaud Foundation/2022, Pro Litteris, Zurich «Eating Figures» (Detail, Foto Ausstellung © Jürg Bürgi 2023).

Edward Hopper in der Fondation Beyeler: Ein neuer Blick auf Landschaft

Edward Hopper (1882-1967), dem Erfinder verstörender, mit wartenden Menschen besetzter amerikanischer Interieurs, widmet die Fondation Beyeler vom 26. Januar bis (dank der Corona-Pandemie) 26. Juli 2020 eine grosse Einzelausstellung. Überraschend hat sie aber nicht, wie zu erwarten wäre, die Beklemmung im Fokus, welche die Bilder des gelernten Gebrauchsgrafikers evozieren, vielmehr stellt Kurator Ulf Küster (In Zusammenarbeit mit dem New Yorker «Whitney Museum of American Art») unter dem Titel «Ein neuer Blick auf Landschaft» die Darstellungen der Natur – Wald, Wiesen, Wasser – in den Mittelpunkt.
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Ausgehend von dem als Dauerleihgabe dem Museum anvertrauten Gemälde «Cape Ann Granite» von 1928 führt der thematisch angelegte Parcours an kraftvoll gemalten Ansichten aus den Neuengland-Staaten vorbei. Während auf einem Teil der insgesamt 65 Exponate aus den Jahren 1909 bis 1965 die unberührte Natur die Hauptrolle spielt, ist auf anderen die menschliche Präsenz offenkundig – auch wenn sie nicht offen in Erscheinung tritt: Strassen, Häuser, Telegrafenmasten, Eisenbahnen, Autos zeugen von Eingriffen des Menschen. Ganz auf Personen verzichten, mochten die Ausstellungsmacher allerdings nicht. Das Spätwerk «Cape Cod Morning» von 1950, das eine Frau in erwartungsvoller Haltung im Erker eines traditionellen Holzhauses zeigt, ist prominent auf der Rückseite des Katalogs platziert. Und auch die beklemmend-einsame Mobil-Tankstelle («Gas», 1940) auf der Umschlag-Vorderseite ist belebt. Der Besitzer, offenbar schon für den Feierabend umgezogen, ordnet in der Abenddämmerung die Schläuche, um danach seinen Betrieb zu schliessen und das Licht zu löschen. Das Bild, nicht nach der Natur wie viele andere, sondern aus der Beobachtung mehrerer Tankstellen rund um den Ferienort Truro in Massachusetts gemalt, ist beispielhaft für die Art, wie Hopper
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in seinen Gemälden Geschichten, nein, nicht erzählt, sondern bloss anreisst. Er stellt eine Szenerie und ihre Stimmung zur Verfügung und überlässt den Betrachtenden alles Weitere. Der Amerika-affine Filmemacher Wim Wenders (z.B.. «Paris Texas», «Don’t Come Knocking») machte sich diese Offenheit in seinem Ausstellungsbeitrag, dem 3D-Kurzfilm «Two or Three Things I Know about Edward Hopper» zunutze, indem er sich von Stimmungen und Motiven in Bildern Hoppers inspirieren liess und sie zu einer ebenso handlungsarmen, im Vagen balancierenden eigenen Geschichte destillierte. Auch Alfred Hitchcock ( zum Beispiel in «Psycho») und andere Protagonisten des amerikanischen Kinos liessen sich direkt von Hopper inspirieren. Und im Roman «Lolita» von Vladimir Nabokov gibt es eine Szene, die direkt Bezug auf Hoppers Tankstellen-Bild «Gas» Bezug nimmt, wie der Literaturwissenschaftler Will Norman 2013 in einem Vortrag feststellte (https://journals.openedition.org/transatlantica/8462): «We had stopped at a gas station, under the sign of Pegasus, and [Lolita] had slipped out of her seat and escaped to the rear of the premises while the raised hood, under which I had bent to watch the mechanic's manipulations, hid her for a moment from my sight».

Wim Wenders und Kurator Ulf Küster kamen an der Medien-Präsentation der Ausstellung mehrfach auf den «Sog» zu sprechen, den Hoppers Bilder auf die Betrachtenden ausübten. Tatsächlich ist diese Wirkung vor allem den Darstellungen zuzuschreiben, in denen Menschen präsent sind. Aber auch Hoppers anscheinend von dunklen Geheimnissen erfüllten Wäldern ist diese Faszination eigen. Tatsächlich hat sich der Maler Zeit seines Lebens intensiv mit der menschlichen Psyche befasst. Er las die Schriften von C.G. Jung und Sigmund Freud und beschäftigte sich mit seinen eigenen Handicaps, darunter eine immer wieder auftretende Mal-Hemmung. «Kunst», schrieb Hopper 1939 in einem Brief, «ist in so hohem Mass ein Ausdruck des Unbewussten, dass mir scheint, dass sie dem Unbewussten das Wichtigste verdankt und das Bewusstsein nur eine untergeordnete Rolle spielt.»

Zur Ausstellung erschien ein Katalog in deutscher und englischer Version mit Texten von Erika Doss, Ulf Küster, David Rubin und Katharina Rüppell.
Küster, U. (Hrsg.): Edward Hopper. Ein neuer Blick auf Landschaft. Riehen/Berlin 2020 (Fondation Beyeler/Hatje Cantz Verlag), 148 Seiten € 58/CHF 62.50.

Kurator Ulf Küster schrieb zudem eine Hopper-Monografie.
Küster, U. Edward Hopper: A – Z. Berlin 2020 (Hatje Cantz Verlag)120 Seiten, 40 Abb. € 18.00/CHF 19.90.

Illustrationen: Cape Ann Granite (1928) © Heirs of Josephine Hopper/2019 ProLitteris, Zürich. Foto: Christie’s (oben)
Gas (1940) © Heirs of Josephine Hopper/2019 ProLitteris, Zürich. Foto: ©2019 Digital Image. The Museum of Modern Art, New York/Scala, Florence.

Francis Bacon und Alberto Giacometti in der Fondation Beyeler

Buchumschlag
Die Gegensätze könnten nicht grösser sein: Hier der Bergeller Bergler Alberto Giacometti (1901-1966), Sohn einer Künstlerfamilie, dort Francis Bacon (1909 – 1992) in Dublin geboren, Sohn eines gewalttätigen ehemaligen Berufsoffiziers. Vom 29. April bis zum 2. September 2018 hängen und stehen 100 ihrer Werke in neun Räumen der Fondation Beyeler in Riehen und warten darauf, dass das Publikum die «erstaunlichen Gemeinsamkeiten» entdeckt, denen die Kuratorin Catherine Grenier, Direktorin der Fondation Giacometti in Paris, und die Kuratoren Ulf Küster von der Fondation Beyeler, und Michael Peppiatt, Bacon-Kenner und Freund des Künstlers, auf die Spur gekommen sind. Bei einem Rundgang durch die neun, je einem Thema gewidmeten Räume, werden tatsächlich einige Gemeinsamkeiten sichtbar, doch das Gegensätzliche wiegt schwerer. Gemeinsam war den beiden Künstlern zum Beispiel, dass sie von der Malerin Isabel Rawsthorne fasziniert waren. Gemeinsam war beiden auch, dass sie sich mit der Darstellung von Figuren im Raum befassten und sich dabei käfigartiger Gebilde bedienten. Und eine weitere Gemeinsamkeit war ihre Vorliebe für die Abbildung des menschlichen Gesichts, wobei sie sich beide weniger der Abbildung der Natur als vielmehr der Darstellung des seelischen Befindens verschrieben. In vielen anderen Belangen waren die Gegensätze dagegen unüberbrückbar. Giacometti zeigte seine Modelle – oft Menschen, die ihm nahestanden – immer in würdevoller Menschlichkeit, während Bacon in die abgebildeten Personen seine eigene Zerrissenheit und Lebensqual integrierte. Unterschiedlich war natürlich auch die bevorzugte Technik: Giacometti war in erster Linie Bildhauer, während Bacon ganz der Malerei zugewandt ist. Bacon malte farbig, oft leuchtend farbig, während Giacomettis Werk von Grau- und Brauntönen dominiert wird - auch seine Malerei! Es ist unser erster Eindruck, noch nicht das letzte Wort: Auf die Art, wie Bacons und Giacomettis Werke einander gegenüber gestellt werden, könnte man das Œuvre vieler anderer Künstlerinnen und Künstler konfrontieren und dabei Gemeinsamkeiten sichtbar machen. Vielleicht ist es kein Zufall, dass auf die Ausstellung nicht ein gemeinsames Plakat – zum Beispiel mit dem Motiv des grossartig gestalteten Katalog-Umschlags – hinweist, sondern zwei. Dabei wird nur in der Schriftzeile eine Gemeinschaftsschau affichiert – «Giacometti Bacon» zeigt die Gipsversion des «Homme qui marche II» und «Bacon Giacometti» das «Portrait of Michel Leiris». Aber sicher ist allemal: Wer nicht auf die behaupteten Gemeinsamkeiten fokussiert, sondern eine reich bestückte und klug aufgebaute Doppel-Ausstellung erwartet, kommt auf jeden Fall auf seine Rechnung. Vor allem die Fülle der Werke Alberto Giacomettis aus der Pariser Fondation Giacometti ist überwältigend. Und auch die Möglichkeit, mehrere von Bacons Tryptichons am gleichen Ort zu sehen, ist einzigartig.

Eine ausführliche Besprechung der Ausstellung und eine Würdigung der begleitenden Publikation ist
hier zu finden.

Zur Ausstellung erschien eine reich illustrierte Publikation in je einer deutschen und englischen Ausgabe.
Grenier, C., Küster, U., Peppiatt M. (Hrsg. für die Fondation Beyeler): Bacon-Giacometti. Riehen/Berlin 2018 (Fondation Beyeler/Hatje Cantz Verlag), 204 Seiten, € 58.00/CHF 62.50
Illustration: Umschlag des Ausstellungskatalogs.

Claude Monet in der Fondation Beyeler

Monet Porträt
Zu ihrem 20. Geburtstag schenkt die Fondation Beyeler in Riehen dem Publikum eine opulente Werkschau des besonders beliebten Impressionisten Claude Monet. Kurator Ulf Küster begnügt sich allerdings zum Glück nicht mit einer oberflächlichen Präsentation des Seerosen- und Landschaftsmalers. Vielmehr zeigt er Monet als einen grandiosen, seines immensen handwerklichen Könnens allzeit bewussten und innovativen Künstler. Die Ausstellung beleuchtet die Entwicklung seines Werks in den mittleren, malerisch besonders ergiebigen Schaffenszeit – von den 1880er Jahren bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts – und demonstriert, wie konsequent sich Monet von der Weichzeichner-Welt des Impressionismus auf die Abstraktion hinbewegte. Es ist faszinierend, an den 62, thematisch gruppierten Werken die zahlreichen Experimente mit wechselnden Licht- und Farbenspielen zu verschiedenen Tages- und Jahreszeiten zu beobachten. Auch Äusserlichkeiten fallen den Betrachtenden auf: eine erstaunliche Gleichförmigkeit der Bildformate - die meisten 60 bis 70 Zentimeter hoch und 80 (selten 100) Zentimeter breit – und die heute schwülstig wirkenden vergoldeten Rahmen. Die Fondation Beyeler verdient hohes Lob, dass sie die berühmte Darstellung der Kathedrale von Rouen im Morgenlicht (La Cathédrale de Rouen: Le Portail, Effet du Matin von 1894), die zu ihrer Sammlung gehört,
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neu und schlicht rahmen liess. Der Unterschied zu den umgebenden Bildern ist frappant, und man würde sich gern vorstellen, wie sich andere Gemälde in neuen Rahmen präsentieren würden. Würde die magische Leuchtkraft ebenso viel stärker zur Geltung kommen? Diese magische Leuchtkraft – als ob der Künstler in seine Werke unsichtbare Leuchten eingebaut hätte – sowie die faszinierende Gestaltung der Schatten sind Elemente, welche in dieser Schau besonders schön zur Geltung kommen. Natürlich gehört auch das riesige Seerosen-Bild «Le Bassin des Nymphéas» aus der Sammlung der Fondation Beyeler zur Ausstellung. Als ein Höhepunkt des Alterswerks, zwischen 1917 bis 1920 entstanden, bildet es nicht den Auftakt, sondern den Schlusspunkt einer rundum gelungenen Schau. Sie verdient, nicht nur als Publikumsmagnet im Jubiläumsjahr wahrgenommen, sondern auch als kuratorische Glanzleistung anerkannt zu werden.
Zur Ausstellung erschien ein traditionell und sorgfältig gestalteter Katalog mit sechs kenntnisreichen Essays und erläuternden Texten und 130 Abbildungen:
Ulf Küster (Hrsg. für die Fondation Beyeler): Monet. Riehen/Berlin 2017 (Fondation Beyeler/Hatje Cantz Verlag), 180 Seiten. CHF 62.50/€ 58.00.

Eine ausführliche Besprechung der Ausstellung und des Katalogs gibt es
hier.

Illustrationen: Foto-Porträt von Claude Monet in der Ausstellung (Ausschnitt).
«La Cathédrale de Rouen» (1894) im neuen Rahmen. Foto © Jürg Bürgi 2017

Der Blaue Reiter in der Fondation Beyeler

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Unter dem Titel «Kandinsky, Marc und Der Blaue Reiter» inszeniert Kurator Ulf Küster vom 4. September 2016 bis 22. Januar 2017 in der Fondation Beyeler in Riehen eine wunderbare Schau über eine kurze Epoche der Kunstgeschichte, die zuerst für die Entstehung der Moderne und dann – wie sich nach dem Zweiten Weltkrieg zeigte – für die Versöhnung der Deutschen (und sicher auch vieler Schweizerinnen und Schweizer) mit der bis dahin unverstandenen «abstrakten Kunst» eine herausragende Bedeutung erlangte. Die Ausstellung beginnt mit farbenfrohen Landschaften aus Murnau, dem inspirierenden Sommersitz Gabriele Münters, der ab 1909 zu einem Treffpunkt der Künstlerpaare Münter-Kandinsky und von Werefkin-von Jawlensky wurde und, zwei Jahre später, auch von Franz und Maria Marc, die im nahen Sindelsdorf logierten. Dort entstand nach einem Krach in der «Neuen Künstlervereinigung München» (NKVM) das Konzept für den Almanach «Der Blaue Reiter», als Plattform für einen offenen, möglichst wenig durch Regeln eingeengten Neuanfang der Künste. Zu Recht dient die Publikation in der Ausstellung als Dreh- und Angelpunkt: In einem Kabinett gibt es die Möglichkeit, in einer digitalisierten Ausgabe des Almanachs blätternd das Konzept eines Malerei, Literatur und Musik umfassenden Gesamtkunstwerks zu erleben und gleichzeitig einzelne, im Buch abgebildete Exponate in natura zu sehen. Ganz im Sinn der Grundgedanken des «Blauen Reiters» zeigt die Ausstellung die 70 Werke der Künstlerfreunde in einem Mit- und Nebeneinander auf ihrem je eigenen Weg von der figurativen zur abstrakten Malerei.

Eine ausführliche Besprechung der Ausstellung und des Katalogs gib es
hier.

Zur Einführung in die Ausstellung dient im ersten Saal eine animierte Wandprojektion, mit der die Künstlerinnen und Künstler und ihre Wirkungsstätten vorgestellt werden. Zudem bietet die Fondation Beyeler ein vielfältiges Begleitprogramm mit Workshops, Vorträgen, Lesungen und einem Konzert und Führungen.

Zur Ausstellung erschien in einer deutschen und einer englischen Ausgabe ein sehr schön gestalteter Katalog: Ulf Küster (Hrsg. für die Fondation Beyeler): Kandinsky, Marc und Der Blaue Reiter. Riehen/Ostfildern 2016 (Fondation Beyeler/Hatje Cantz Verlag), 188 Seiten, CHF 62.50/€58.00

Gustave Courbet: Erster Avantgardist

Vom 7. September 2014 bis 18. Januar 2015 präsentiert Kurator Ulf Küster den französischen Maler Gustave Courbet (1819 bis 1877) in der Fondation Beyeler in Riehen als Vorvater der Moderne. Thematisch geordnet hängen 57 Gemälde des autodidaktisch geschulten Künstlers in acht Sälen. Zuerst fällt auf, dass die Bilder nicht, wie zu erwarten wäre, auf farbigen Wänden gezeigt werden, sondern – ganz bewusst – auf weissem Hintergrund. Der Ausstellungsmacher entschied sich nach eingehenden Farbstudien für diese Lösung, um zu betonen, dass der aus dem französischen Jura, aus Ornans in der Franche-Comté stammende Künstler «als erster Avantgardist der Kunstgeschichte» mit den Kollegen der klassischen Moderne eng verbunden ist.
Der Sohn eines reichen Grundbesitzers musste sich nie um die akademischen Traditionen seines Metiers kümmern. Er musste sich niemandem anbiedern, niemandem gefallen. Er hatte den Ehrgeiz (und wie sich zeigte auch die Fähigkeit) ganz auf sich selbst gestellt ein grosser Maler zu werden. Er studierte selbstständig die künstlerischen Traditionen, die Motive und die Techniken – um sie nach und nach hinter sich zulassen. Als junger Künstler in Paris sass er zwar fleissig im Louvre und kopierte berühmte Gemälde, doch Sicherheit erarbeitete er sich an einer langen Reihe von Selbstporträts in verschiedenen Posen. Bei diesen Arbeiten – und später in Landschaftsbildern mit Motiven aus seiner engeren Heimat – erfand er seine ganz eigene Maltechnik. Er spachtelte die Farbe mit dem Palettmesser auf die Leinwand, er nahm einen Lappen oder den Daumen zu Hilfe, um ganz eigene Effekte zu erzeugen. Seine romantisch-realistischen Natur- und Menschendarstellungen erlangen durch die radikale Farbanwendung eine eigene Qualität. Schon seine Zeitgenossen bewunderten seine Eigenständigkeit, und er erhielt zahlreiche Auszeichnungen. Seine Bilder fanden reissenden Absatz. Er arbeitete wie besessen – «ein Tag, ein Bild» oder «eine Stunde, ein Bild», brüstete er sich gelegentlich – um der Nachfrage nachzukommen. Ein Modemaler war er gleichwohl nie. Viele seiner Motive waren in der Mitte des 19. Jahrhunderts reine Provokationen, nicht zuletzt die erotisch aufgeladenen Frauenakte, die in seinem sagenhaften Unterleibs-Torso «L’Origine du monde» gipfelten, der erst ab 1995 öffentlich gezeigt wurde. Auch seine politischen Ansichten waren notorisch provokativ. Er weigerte sich den Orden der Ehrenlegion anzunehmen, und er liess sich 1870 von der Pariser Kommune zum Kunstkommissar ernennen. Als die Revolution scheiterte, verlor er nicht nur das Regierungsamt, sondern auch seine Reputation. Die neue Obrigkeit warf ihm vor, er habe die Schleifung der Vendôme-Säule persönlich zu verantworten. Nach Gefängnisstrafe, Plünderung seines Ateliers und Verurteilung zu den horrenden Kosten des Wiederaufbaus des Denkmals floh Courbet 1873 bei Nacht und Nebel in die Schweiz. In seiner Heimat geächtet, wirkte er – weiter revolutionär gestimmt und unermüdlich schaffend, aber depressiv und dem Alkohol verfallen – in seinen letzten Jahren in der kleinen Schweizer Kunstszene als Inspirator. Just als er die erste Tranche seiner Abzahlung zusammen hatte, starb Gustave Courbet 1877 in La-Tour-de-Peilz über dem Genfersee mit 58 an der Schrumpfleber.
(Während sich die Ausstellung in der Fondation Beyeler Courbets Aufstieg zum Praeceptor pictorum («Ich bin ein Epochenwechsel») dokumentiert, zeigt gleichzeitig das Musée d’Art et d’Histoire in Genf vom 5.9.2014 bis 4.1.2015 das Schaffen Courbets in den Jahren des Schweizer Exils.)

Der Katalog – in deutscher und englischer Version erhältlich – übernimmt die thematische Gliederung der Ausstellung in der Fondation Beyeler und vertieft die informativen Saaltexte durch kenntnisreiche Aufsätze des Kurators und weiterer Courbet-Kenner. Ulf Küster (Hrsg.): Gustave Courbet. Riehen/Ostfildern 2014 (Fondation Beyeler/Hatje Cantz Verlag) 200 Seiten. CHF 62.50

Eine ausführliche Besprechung der Ausstellung und des Katalogs
gibt es hier

Ferdinand Hodler bei Beyeler

Nicht der Schweizer «Nationalkünstler» Ferdinand Hodler (1853-1918), dessen historisierende Darstellungen über die Zeit des Zweiten Weltkriegs hinaus einen überholten schweizerischen Patriotismus bedienten, ist der Fondation Beyeler in Riehen in Zusammenarbeit mit der Neuen Galerie in New York eine grosse Retrospektive wert, sondern der alte, arrivierte Hodler, der es sich leisten konnte, ohne Rücksicht aufs Geschäft als waghalsiger Neuerer der Landschaftsmalerei die Grenzen zur Abstraktion zu testen. Die von Ulf Küster (Fondation Beyeler) und Jill Lloyd (Neue Galerie) kuratierte Schau von rund 80 Arbeiten belegt vom 27. Januar bis zum 26. Mai 2013, wie der arrivierte Maler zwischen 1913 und 1918 die grossen Themen seines Schaffens in Serien variierte: Tod und Ewigkeit, Natur und Alpenwelt, das Selbstporträt, Frauenbilder. Da Hodler ausserhalb der Schweiz heute weitgehend vergessen ist, beginnt die Ausstellung mit einem biografischen Kabinett, das neben den Lebensstationen auch das Werk des zu Lebzeiten prominentesten einheimischen
Künstlers darstellt. Besonders beeindruckend sind die Fotografien, mit denen die langjährige Sammlerin und Freundin Gertrud Dübi-Müller den beruflichen und familiären Alltag des lungenkranken alten Mannes bis zum letzten Tag dokumentierte. Im Zentrum der Ausstellung stehen die Landschaftsbilder. Anders als in seinen frühen und mittleren Jahren kommt Hodler im Spätwerk mehr und mehr davon ab, von den Umrissen her zu denken. Stattdessen betont er die Farbflächen bis sich die Landschaft in horizontalen Streifen aufzulösen beginnt. Hier kündige sich die Farbfeldmalerei Mark Rothkos und Barnett Newmans an, heisst es in einem Text der Ausstellungsmacher. Einen weiteren Schwerpunkt bilden die Darstellungen des Leidens und Sterbens seiner krebskranken Geliebten Valentine Godé-Darel. Beim Betrachten fragt man sich, was ihn zu dieser übergriffigen Aktion getrieben haben mag. Welche Rolle spielte sein eigenes Trauma, das er erlitt, als seine lungenkranke Mutter bei der Arbeit auf dem Feld starb, und der 14-jährige ihre Leiche zusammen mit seinen Geschwistern bergen musste? Und wie schwer wog sein Wille zur provokativen Grenzüberschreitung? Irritierend wirkt sodann die Besessenheit, mit der sich Hodler mit seinem eigenen Gesicht abgab. Allein aus dem Jahr 1915 sind fünf Selbstporträts ausgestellt. Ging es ihm um die Selbstdarstellung oder um die Gestaltung von Gesichtslandschaften? Den letzten Höhepunkt der Schau bildet der «Blick in die Unendlichkeit», die bewegte Frauengruppe, die 1916 für das Zürcher Kunsthaus gemalt wurde, die heute aber im Kunstmuseum Basel hängt – weil das Bild den Bestellern seinerzeit zu monumental erschien.
Zur Ausstellung erschien ein opulent illustrierter Katalog. Jill Lloyd, Ulf Küster (Hrsg.): Ferdinand Holder. Riehen, New York, Ostfildern 2013 (Hatje Cantz Verlag) 220 Seiten; CHF 68.00.
Eine ausführliche Besprechung der Ausstellung und des Katalog steht hier.

Pierre Bonnard bei Beyeler

Mit Pierre Bonnard (1867 bis 1947) stellt die Fondation Beyeler in Riehen vom 29. Januar bis zum 13. Mai 2012 einen der faszinierendsten, weil oft als blosser Kolorist missverstandenen Maler der Moderne in einer grossen Einzelausstellung vor. Kurator Ulf Küster präsentiert den Zeitgenossen von Henri Matisse (1869-1954) und Mitgründer der Künstlergruppe «Les Nabis» (Maurice Denis, Edouard Vuillard, Paul Sérusier, Henri-Gabriel Ibels und Paul Ranson), als eigenwilligen Farben-Zauberer, der manchmal Jahrzehnte brauchte, bis er ein Werk als vollendet betrachtete. Überzeugend ist die Idee, die rund 60 Werke thematisch zu ordnen, den Räumen entsprechend, die ihnen den Rahmen geben: Die Strasse, das Esszimmer, das Badezimmer, der Garten sind die Orte, an denen Bonnard seine «Abenteuer des Sehnervs» (so der Titel eines Films von Didier Baussy) am liebsten inszenierte. Der Maler war zeitlebens auf seine Kunst konzentriert. Die politischen und wirtschaftlichen Umbrüche seiner Zeit, Krieg und Frieden schienen ihn nicht zu berühren. Besessen vom Bemühen, das menschliche Erlebnis des Sehens nachzubilden, lebte er in seinen Häusern gleichsam in Klausur. Er hatte eines am Unterlauf der Seine, und ein zweites in Südfrankreich, in der Nähe von Cannes, und staffierte sie seinen künstlerischen Bedürfnissen entsprechend aus. Dort malte er in seinem Atelier, wenn man den überlieferten Fotografien glauben darf, im Anzug mit Krawatte, mit einem Hut auf dem Kopf.
Eine ausführliche Besprechung der Ausstellung und des Katalogs gibt es hier.

Louise Bourgeois bei Beyeler

«Eine konzentrierte Auswahl» nennt die Fondation Beyeler die 20 Werke, die sie, inszeniert von Kurator Wulf Küster, als Hommage zum 100. Geburtstag der franko-amerikanischen Künstlerin Louise Bourgeois (1911 bis 2010) vom 3.9.2011 bis zum 8.1.2012 zeigt. Teils inmitten von Werken anderer Künstler aus der Sammlung der Fondation in Riehen, teils in eigenen Räumen belegen skulpturale und zeichnerische Arbeiten die ungewöhnliche Breite ihres Schaffens, das die Klassische Moderne mit der Gegenwartskunst verbindet. Den Anfang und das Ende der Werkschau bilden zwei herausragende Werke: im Park, von Bäumen umgeben, die monumentale Riesenspinne «Maman» aus dem Jahr 1999 und im Untergeschoss, im Innersten des Museumsbaus, der käfigförmige Seelen-Parcours «Passage dangereux» von 1997. Besonders stolz sind die Ausstellungsmacher, dass sie die Erlaubnis erhielten, den Zyklus «A l’infini» aus dem Jahr 2008, zum ersten Mal öffentlich zu zeigen. Die 14 grossformatigen Radierungen kann als eine Art Selbstporträt der Künstlerin gelesen werden, das sich aus Bruchstücken ihres Unbewussten zusammensetzt. Eine ausführliche Besprechung der Ausstellung steht hier.