Arthur Fink

«Dan Flavin – Widmungen aus Licht» im Kunstmuseum Basel

Porträt Flavin
Unter dem Titel «Widmungen aus Licht» zeigt das Kunstmuseum Basel vom 2. März bis zum 18. August 2024 eine grosse Retrospektive auf das Werk des Künstlers Dan Flavin (1933-1996). Berühmt wurde der Amerikaner ab 1963 mit ersten Lichtskulpturen aus industriell gefertigten Leuchtstoffröhren. Der Kurator Josef Helfenstein, bis Ende 2023 Direktor des Museums, und die Kuratorinnen Olga Osadtschy und Elena Degen präsentieren 58 Werke, von denen einige noch nie in der Schweiz zu sehen waren, und eine kleine Anzahl von Werken, die zu Beginn der künstlerischen Karriere entstanden sind. Zu den in neun Räumen arrangierten Werken. Flavin wuchs mit seinem Zwillingsbruder im New Yorker Stadtteil Queens in einem streng katholischen Milieu auf. Wäre es nach seinen Eltern gegangen, hätte er Priester werden sollen.Stattdessen gingen die Brüder 1953 nach dem Schulabschluss zur Luftwaffe, wo Dan während des Koreakriegs im Hauptquartier in Südkorea zum Flugwetter-Techniker ausgebildet wurde und später auf einem Stützpunkt im Staat New York Dienst leistete. In seiner Freizeit widmete sich Flavin intensiv der Kunst: Er skizzierte und zeichnete viel, wie seit seiner Jugend schon; er besuchte Museen und Galerien. Auf einer Dienstreise nach Japan, wo er eine Zeichnung von Auguste Rodin erwarb, fing er an, eine eigene Kunstsammlung anzulegen. Nach dem Ende seiner Dienstzeit schrieb er sich an der Columbia University für ein Studium der Kunstgeschichte ein und begann, sich ernsthaft künstlerisch zu betätigen, indem er Zeichnungen, Aquarelle und Collagen anfertigte. Einige dieser frühen Arbeiten, darunter «Apollinaire wounded», eine Assemblage mit einer zerdrückten Aluminiumdose, Ölfarbe und Bleistift auf einer Unterlage aus Hartfaser, Gips und Holz, sind in der Ausstellung zu sehen.

Während seiner weitgehend autodidaktischen künstlerischen Lehrjahre hielt sich Flavin mit Aushilfsjobs in New Yorker Museen über Wasser. Er arbeitete in der Poststelle des Guggenheim-Museums, wo er den Maler Ward Jackson (1928-2004) kennenlernte, der zu einem wichtigen Berater und Freund wurde. Später jobbte er im Museum of Modern Art als Aufseher und Liftboy und machte Bekanntschaft mit den Künstlern Sol LeWitt (1928-2007), Michael Venezia (geb. 1937), Robert Ryman (1930-2029), Ralph Iwamoto (1927-2013) und Robert Mangold (geb. 1937). Einige Zeit später begegnete er auch Donald Judd (1928-1994), mit dem er immer freundschaftlich verbunden blieb.

the diagonal of May 25, 1963 (to Constantin Brancusi)
Man darf es bedauern, dass Flavins frühen Arbeiten und besonders seinen Zeichnungen in der aktuellen Ausstellung nur eine Nebenrolle zukommt, denn die Licht-Installationen, welche die Schau naturgemäss dominieren, sind für das interessierte, aber nicht fachkundige Publikum schon nach kurzer Zeit nicht viel mehr als «more of the same»: Die Präsentation derart zahlreicher farbiger Leuchtstoffröhren-Arrangements wirkt verwirrend, das Flimmern und das Knistern der Lichtquellen irritiert. Und wer sich die Mühe nimmt nachzusehen, wem die eineinzelnen Werke zugeeignet sind, bleibt auf der Suche nach einer Verbindung zumeist ratlos. Flavin selbst warnte davor, diese Widmungen allzu ernst zu nehmen: «Manche Leute», sagte er in einem Interview, das Arthur Fink in seinem Katalogbeitrag zitiert, «ärgern sich über die Widmungen. Sie sollten einfach damit aufhören. Es ist eine nette Nebensächlichkeit.…» Es gibt allerdings eine Ausnahme: Die Hommage an Vladimir Tatlins (1885-1953) Entwurf für ein «Moument für die Dritte Internationale» von 1920. In seinem Essay für den Katalog erwähnt Simon Baier, dass Flavin zwischen
Monument for V. Tatlin  VII (1964)
1964 und 1990 das Thema in nicht weniger als 50 Arbeiten variierte. (In der Ausstellung ist die Installation «monument 7 for V. Tatlin» von 1964 zu sehen, die – anders als im Saaltext angegeben – aus sechs weissen und einer gelben Leuchtstoffröhre besteht.) Zurück zur Problematik der Retrospektive: Da die Werke individuell konzipiert wurden, entfalten sie auch ihre Wirkung als Einzelstück und an einem bestimmten Platz. Ein Massenauftritt war nie vorgesehen.

In späteren Jahren integrierte der Künstler seine Werke oft in einen bestimmten architektonischen Kontext – so wie im Innenhof des Basler Kunstmuseums. Die peinliche Geschichte dieser Installation dokumentiert Arthur Fink im Katalog. Sie beginnt mit einer vom damaligen Direktor Carlo Huber (1932-1976) kuratierten Ausstellung von Installationen Flavins in der Basler Kunsthalle und einer parallel von Direktor Franz Meyer (1919-2007) eingerichteten Präsentation grafischer Arbeiten im Kunstmuseum, die der Künstler mit Federzeichnungen des Reisläufers, Goldschmids und Künstlers Urs Graf (1485-1528) aus dem Kupferstichkabinett ergänzte. Für die Ausstellung entwickelte Flavin für den Innenhof des Museums die Installation «untitled (in memory of Urs Graf)». Am 9. Mai 1975 lehnte die Kunstkommission der Öffentlichen Kunstsammlung das Angebot ab, das Werk zu erwerben, und Ende Juni fand auch das Angebot einer Schenkung «durch eine Stiftung in Amerika» einstimmig kein Gehör. Als Grund sind im Protokoll nicht weiter ausgeführte «künstlerische Gesichtspunkte» erwähnt. Flavin war enttäuscht und schrieb das Debakel in einem Brief an Carlo Huber internen Machtkämpfen in der Kommission zu. Dabei, so seine Überzeugung, hätten die leuchtenden Röhren verdammt gut gepasst: «But after all, all of those lofty and low-down tubes seemed to me to exist oh so definitely dramatically well in that damned drab setting. Amen!» Dabei blieb es – vorerst. Die «Dia Art Foundation», die sich der Unterstützung zeitgenössischer Kunst verschrieben hatte, kaufte das Werk schliesslich an und bat 1980 die Kommission um Wiedererwägung ihres Entscheids. Diesmal war die Mehrheit der Meinung, man könne nicht ein zweites Mal nein sagen. «Mehr aus diplomatischen Erwägungen denn aus inhaltlicher Überzeugung», wie Fink schreibt, akzpetierte das Gremium das Geschenk. Es bestehe damit ja keine Verpflichtung, heisst es schlaumeierisch im Protokoll vom 11. August 1980, «die Installation anzuzünden». Und: Das Werk sei «ohnehin nur am Abend sichtbar, also zu einer Zeit, in der das Museum in der Regel geschlossen ist.» Das ist falsch, wie jetzt, wenn die Lichtskulptur leuchtet, zu sehen ist. (Übrigens: Die naheliegende Vermutung, dass die Kunstkommission Flavins Werk aus Furcht vor öffentlicher Aufregung ablehnte, ist wahrscheinlich falsch. Denn ebenfalls 1980 erwarb sie, mit einem Zusatzkredit der öffentlichen Hand, Brancusis «Torso einer jungen Frau» und nahm einen Shitstorm inklusive Fasnachtsspott ohne weiteres in Kauf.)

Flavin im Hof des Kunstmuseums
Wie Dan Flavin, der einstige Luftwaffen-Soldat im Koreakrieg, der ein Leben lang zeichnete und sich mit den Möglichkeiten beschäftigte, das Licht als künstlerisches Gestaltungsmittel einzusetzen, formierte auch der fünf Jahre ältere und am Ende des Zweiten Weltkriegs als Flakhelfer eingesetzte Otto Piene (1928-2014), mit Zeichnungen seine Ideen. Es ist ein lohnender Gedanke, die bis 12. Mai vom Museum Tinguely mit einer grossen Piene-Werkschau gebotene Gelegenheit zu nutzen, die beiden, vom Licht und vom Fliegen faszinierten Künstler zu vergleichen. Ja, anders als Flavin, der sich mit der Entdeckung der Möglichkeiten begnügte, die ihm ein Universum aus Leuchtstoffröhren bot, fächerte Piene, ein Mitgründer der Düsseldorfer Künstlergruppe «Zero», sein Repertoire weit auf. Gleichwohl ist beachtenswert, wie sehr der Deutsche, der lange in den USA wirkte, und der Amerikaner, der in seinen späteren Jahren oft in Europa arbeitete, ihre Kunst zur Veränderung von Räumen, innen und aussen, einsetzten. Eine oberflächliche Recherche ergibt, keine persönliche Bekanntschaft der beiden Künstler. In einem Beitrag für die Zeitschrift Artforum unter dem Titel «Some other comments» schrieb Flavin 1967 über die ihm bis dahin unbekannte, im Bauhaus verankerte Geschichte der Lichtkunst: «By the way, at the start (of my use of electric light), I knew nothing of the Moholy-Nagy sculpture or, for that matter, all of the output of the European solo systems and groupings like Zero which were introduced to New York relatively recently or not at all.» (Den Hinweis verdanken wir der Heidelberger Dissertation von Brigitta Heid «Dan Flavins installations in fluorescent light im Kontext der Minimal Art und der Kunstlicht-Kunst», Online-Veröffentlichung 2004, http://archiv.ub.uni-heidelberg.de/volltextserver/4940/6/I-Textteil.pdf)

Zur Ausstellung ist im Verlag Walther König, Köln, für Mai ein Katalog angekündigt: Helfenstein, J., Osadtschy, O. (Hrsg): Dan Flavin - Widmungen aus Licht / Dedications in Lights. Köln 2024, 256 Seiten, €49.00.
Der Presse standen die Fahnen der Katalog-Texte zur Verfügung.

Illustrationen von oben nach unten: Porträt Dan Flavin (Ausschnitt, Foto: Stephen Flavin https://www.spiegel.de/fotostrecke/lichtmaler-dan-flavin-minimaler-aufwand-maximaler-effekt-fotostrecke-17497.html 21.11.2006); «the diagonal of May 25, 1963 (to Constantin Brancusi)», Flavins erste Leuchtstoffröhren-Installation, die ihn als Künstler etablierte. (Foto: https://www.spiegel.de/fotostrecke/lichtmaler-dan-flavin-minimaler-aufwand-maximaler-effekt-fotostrecke-17497.html, 21.11.2006); «Monument for V. Tatlin VII (1964)» (Foto aus der Ausstellung, © 2024, Jürg Bürgi, Basel); «untitled (in memory of Urs Graf)» (1975) im Innenhof des Kunstmuseums Basel (Foto © 2024 Jürg Bürgi, Basel).

Matisse, Derain und ihre Freunde im Kunstmuseum Basel

Plage rouge klein
Vom 2. September 2023 bis 24. Januar 2024 stellt das Kunstmuseum Basel unter dem Titel «Matisse, Derain und ihre Freunde» 160 Arbeiten der ersten bedeutenden Avantgarde-Bewegung des 20. Jahrhunderts aus: «Les Fauves». Die Häuptlinge der «Wilden» – Henri Matisse (1869-1954) und André Derain (1880-1954) – machten mit den gültigen Gesetzen der Malerei Schluss. Im Zentrum ihrer Arbeiten stand, repräsentiert durch reine, ungemischte Farben, der emotionale Gehalt des Dargestellten. Beispielhaft für diese Haltung steht das Gemälde «La Plage rouge», das 1905 in Collioure in Südfrankreich entstand. Dort, am Fuss der Pyrenäen, nahe der spanischen Grenze, verbrachte Matisse mit seiner Familie und mit Derain den Sommer. Gefragt, weshalb er den gelben, allenfalls beige-braunen Sandstrand rot gemalt habe, gab er zu, dass ihn dies auch irritiert habe. Er hielt aber an der Farbgebung fest, weil sie, wie er sagte, seine Stimmung beim Betrachten des Strandes entsprach. Diese und andere neue Arbeiten mit bis dahin gänzlich ungewohnten Farbkombinationen, machten im Herbstsalon in Paris Skandal. Der ebenso einflussreiche wie scharfzüngige konservative Kritiker Louis Vauxcelles (1870-1943) verhöhnte die Maler dieser
Nu aux souliers rouges
Avantgarde als «Fauves» – und erfand damit die in den folgenden Jahren erfolgreiche Marke des «Fauvisme». Die vom Berner Kunsthistoriker Arthur Fink, von Claudine Grammont, der früheren Direktorin des Musée Matisse in Nizza und heutigen Leiterin der Grafiksammlung des Centre Pompidou in Paris sowie dem Basler Museumsdirektor Josef Helfenstein kuratierte Ausstellung zeigt auf eindrückliche Weise, wie vielgestaltig die Gruppe der Fauvisten auftrat. Zum Teil handelte es sich um Schüler des Symbolisten Gustave Moreau (1826-1898) – Henri Matisse, Albert Marquet (1875-1947), Henri Charles Manguin (1874-1949), Charles Camoin (1879-1965) und Jean Puy (1876-1960) – , zum Teil um Malerfreunde, die im Pariser Vorort Chatou, wo sie aufgewachsen waren, in einem gemeinsamen Atelier arbeiteten – André Derain (1880-1954) und Maurice de Vlaminck (1876-1958) – und zum Dritten um junge Künstler aus Le Havre, die sich der Bewegung nach dem Herbstsalon von 1905 anschlossen – Raoul Dufy (1877-1953), Georges Braque (1882-1963) und Othon Friesz (1879-1949). Die Arbeiten dieser heterogenen Gesellschaft, die ohne Manifest auskam und in erster Linie durch ein Netzwerk von Freundschaften verbunden war, werden in neun Kapiteln präsentiert. Im ersten Raum dominieren die Schüler Moreaus, die gemeinsam Aktmalerei betrieben. Dort entstand 1900 im trüben Winterlicht Henri Matisse’ «Nu aux souliers roses», das Bild eines auf einem Podest stehenden Aktmodells mit rosaroten Schuhen. Der Kollege Jean Puy beschrieb die gänzlich ungewohnte Farbgebung – ein «kräftiges, schwer lastendes Blau … und die Formen des Modells in Orange» als «Grausamkeit gegenüber dem Auge».
derain-danse klein
In den weiteren Sälen zeigen spektakuläre Landschaftsbilder aus der Normandie und aus Südfrankreich die ungebrochene Begeisterung der «Fauves» für die Freiluft-Malerei und ihr gleichzeitiges Interesse für Stillleben und Familienszenen. Dass die jungen Männer gerne Motive des Stadt- und Nachtlebens abbildeten, das sie aus eigenem Erleben besonders gut kannten, ist keine Überraschung. Gleichzeitig zeigten sie sich aber auch fasziniert von idyllischen ländlichen Freizeitszenen, die sich mit exotischen Motiven und symbolischer Gestik aufladen liessen. Beispielhaft für diese Malerei ist das grösste Bild der Schau, André Derains «La danse» von 1906: Da ist Gauguin drin, aber auch kambodschanische Tempelzier und weitere koloniale Motive. Die beiden letzten Räume zeigen, wie früh die «Fauves» Skulpturen und bemalte Keramik in ihr Repertoire aufnahmen und wie stark sie im Kunstschaffen der folgenden Jahre ihre Spuren hinterliessen.

Illustrationen von oben nach unten: Henri Matisse «La Plage rouge», 1905 (Scan aus dem Katalog); Henri Matisse «Nu aux souliers roses», 1900 (Scan aus dem Katalog); André Derain «La danse», 1906 (Privatsammlung, © 2023, Pro Litteris, Zürich).

Die Ausstellung wird begleitet von einem sorgfältig gestalteten Katalog mit kenntnisreichen Aufsätzen, die den didaktischen Anspruch der Ausstellung unterstreichen,
auch ökonomische und soziale Aspekte des französischen Kunstschaffens zu Beginn des 20. Jahrhunderts einzubeziehen.

Fink, A., Grammont, C., Helfenstein, J. (Hrsg.): Matisse, Derain und ihre Freunde. Die Pariser Avantgarde 1904-1908. Basel/Berlin 2023 (Kunstmuseum Basel/Deutscher Kunstverlag), 266 Seiten, €58.00.

Eine ausführliche Besprechung der Ausstellung und des Katalogs
ist hier zu finden.