Konzeptkunst

Wim Delvoye im Museum Tinguely

Dem belgischen Konzeptkünstler Wim Delvoye, geb. 1965, widmet das Museum Tinguely in Basel vom 13. Juni 2017 bis 1. Januar 2018 die erste grosse Retrospektive in der Schweiz. Die in Zusammenarbeit mit dem MUDAM (Musée d’Art Moderne) in Luxemburg von Andres Pardey kuratierte Schau zeigt Werke eines witzig-kreativen Geistes, der weit mehr kann, als mit seinen inzwischen weltweit berüchtigten Verdauungsmaschinen das Publikum zu provozieren. Das heisst, dass diese aufwändig und wissenschaftlich genau den menschlichen Verdauungsvorgang simulierenden Apparate auch in dieser Ausstellung einen wichtigen Platz einnehmen. Aber sie sind in einen Kontext eingebettet, der die Intention des Künstlers verständlich macht, für alle Menschen, ohne Unterschied der Herkunft und Klasse und für alle gleichermassen lebensnotwendige natürliche Prozesse zu simulieren.
Truck Tire Detail
Das Konzept, erläuterte Wim Delvoye bei der Vorbesichtigung, sei stark von seiner Faszination für die Forschung am menschlichen Genom und anderen Errungenschaften der Biomedizin beeinflusst. Wie sich in der Ausstellung zeigt, ist dies allerdings nur eine der Quellen, aus denen sich Delvoyes Imaginationen speisen. Eine zweite sind die traditionellen Handwerke, zum Beispiel die Kunstschnitzerei in Indonesien oder die Porzellanmalerei in Holland. Diese Fertigkeiten nutzt er zur Ironisierung und Verfremdung von Alltagsgegenständen – zum Beispiel, indem er 18 Propangasbehälter wie Delfter Porzellan bemalen oder indem er eine ganze Baustelle mit Schubkarre, Betonmischer und allem weiteren Drum und Dran aus Tropenholz schnitzen lässt. Die dritte Abteilung zelebriert das Ornament in sakraler Brechung: Die nach oben strebende, nach Ansicht von Wim Delvoye, von den europäischen Wäldern inspirierte Gotik als Baustil und Weltanschauung ist hier auf vielfältige Weise präsent: zum Beispiel in den ornamental geschnitzten Lastwagenreifen, in dem «Suppo» genannten, von der Decke hängenden extrem verdrehten neugotischen Kathedralenmodell oder, draussen im Park, im – ebenfalls neugotisch gestalteten – «Cement-Truck», der ganz aus lasergeschnittenen, langsam rostenden Cortenstahl-Platten zusammengesetzt ist.

Zur Ausstellung erschien ein reich illustrierter Katalog mit sachkundigen deutsch/englischen Texten.
Andres Pardey (Hrsg. für das Museum Tinguely): Wim Delvoye, Paris 2017 (Somogy éditions d’art), 224 Seiten, CHF48.00.

Eine Besprechung der Ausstellung und des Katalogs gibt es
hier.

Illustration: Wim Delvoye: Ohne Titel (Geschnitzter LKW-Reifen) 2013 (Detail). Foto © Jürg Bürgi, 2017.

Edward Kienholz und Nancy Reddin Kienholz: Zeichen der Zeit

Edward Kienholz (1927-1994) war einer der ersten Künstler, die den Rohstoff für ihre Arbeiten auf Müllhalden und Flohmärkten zusammensuchten. Und weil er mehr Ideen hatte, als er realisieren konnte, verlegte er sich früh darauf, mögliche Kunstwerke nur zu beschreiben und vorzurechnen, was die Ausführung kosten würde. Am Beginn seiner Karriere war Kienholz auch Kunst-Unternehmer. Er organisierte Ausstellungen und betrieb zusammen mit einem Kollegen eine eigene Galerie. Für die amerikanische Gesellschaft der späten fünfziger und der sechziger Jahre waren seine Werke eine reine Provokation. Nach 1972, nach seiner Begegnung mit Nancy Reddin (geb. 1943), die seine fünfte Frau wurde, entwickelte der kritische Ansatz zusätzliche Schärfe und wurde – auch beeinflusst durch ein Auslandjahr in Berlin – europäisch-direkt und für die Betrachter sofort lesbar. Die Retrospektive, die das Museum Tinguely in Basel von der Schirn Kunsthalle in Frankfurt übernommen hat, umfasst 34 Werke, von denen elf Nancy Reddin Kienholz als Mitautorin affichieren. Sie sind alle explizit auf Wirkung angelegt, Kunstwerke, die sich gegen Krieg, Rassismus, religiöse Heuchelei und die Unterdrückung der Frauen engagieren. Als besonders eindrücklich fielen uns die monumentale «Ozymandias Parade» (deren Titel sich auf ein Gedicht von Shelley bezieht) und die sarkastische Figurengruppe «My County ‘Tis of Thee» (nach der ersten Zeile eines bekannten patriotischen Liedes von Samuel Francis Smith) mit vier hosenlosen krawattierten Herren, die sich, je eines ihrer bestrumpften Beine in einer Tonne, die Rechte in der Herzgegend, die Linke am Gemächte des Hintermanns, wie auf einem Karussell um die amerikanische Flagge drehen. Unwillkürlich kommen uns Zirkuselefanten in den Sinn, die sich bei ihrem Ringelreigen am Schwanz zu fassen pflegen. Eine ausführliche Besprechung der Ausstellung und des Katalogs steht hier.

Jenny Holzer in der Fondation Beyeler

Dass Jenny Holzer eine Berühmtheit wider Willen ist, die öffentliche Auftritte ohne jede narzisstische Attitüde absolviert, war bei der Presse-Präsentation ihrer Ausstellung in der Fondation Beyeler in Riehen bei Basel offensichtlich. Geduldig beantwortete die Amerikanerin unzählige befremdliche und einige sinnreiche Fragen aus dem grossen Publikum, in dem die Medienleute eine kleine Minderheit darstellten. Und Direktor Sam Keller krönte den Anlass mit einem eigenen absurden Akzent, indem er der Künstlerin für ihre Geduld überschwänglich dankte und die Zuhörenden zu einem grossen Applaus aufforderte. Welch ein Kontrast zum Werk dieser explizit politischen, auf Wirkung in der Öffentlichkeit bedachten Frau! Seit über 30 Jahren nutzt sie jede technische Möglichkeit, ihren Protest gegen Ungerechtigkeit, Gewalt und Krieg unter die Leute zu bringen. Sie gehört zu den ganz wenigen zeitgenössischen Kunstschaffenden von Rang, die vom gesellschaftlichen Auftrag der Kunst überzeugt sind und dafür ihr ganzes Können einsetzen. Wie vielfältig sie ihr Engagement für eine gerechtere Welt sichtbar macht, zeigt (vom 1.11.2009 bis zum 24. Januar 2010) die eindrückliche, von Elizabeth A. T. Smith (Museum of Contemporary Art in Chicago) und Philippe Büttner (Fondation Beyeler) kuratierte Ausstellung. Mehr...