Pablo Picasso

Jubiläumsausstellung der Fondation Beyeler

Drei Frauen
Praktisch die ganze Fläche der Fondation Beyeler in Riehen stand dem Kurator Raphaël Bouvier zur Einrichtung der Sammlungspräsentation zum 25-jährigen Jubiläum zur Verfügung. Er nutzte die 20 Räume in grosszügiger, um einen Teil der rund 400 Gemälde und Skulpturen aus dem 19., 20. und 21. Jahrhundert zu inszenieren, über die das meistbesuchte Museum der Schweiz inzwischen verfügt. Zu sehen sind einerseits die prominentesten Künstler und ihre Werke. Ihnen sind ganze Räume gewidmet: Claude Monet, Alberto Giacometti, Henri Matisse, Paul Klee, Juan Miró, Marc Rothko und – als einzige Künstlerin – Marlene Dumas. Mit 30 Bildern und Skulpturen besitzt die Fondation Beyeler eine der weltweit qualitätvollsten Werkgruppen von Pablo Picasso. Kein anderer Künstler ist in der Sammlung mit einer so grossen Zahl von Arbeiten vertreten. Andere Künstlerinnen und Künstler werden im Kontext ihrer Kunstbewegung präsentiert, zum Beispiel der Postimpressionismus, die frühe Abstraktion oder die Pop-Art. Arbeiten der Gegenwartskunst, zum Beispiel von Louise Bourgeois (1911-2020), Tacita Dean (geb. 1965) oder Roni Horn (geb. 1955) sind in Gegenüberstellungen arrangiert. Insgesamt belegt die für die Ausstellung getroffene Auswahl die hohe Qualität der von Ernst und Hildy Beyeler in ihre private Sammlung aufgenommenen Werke. Und sie demonstriert gleichzeitig, wie schwierig es ist, bei der Erweiterung der Sammlung mit zeitgenössischen Werken dieses hohe Niveau sicherzustellen. Einige der neu erworbenen Arbeiten werden in der Jubiläumsausstellung zum ersten Mal überhaupt gezeigt, darunter die 2020 entstandene skulpturale Installation «Poltergeist» der englischen Künstlerin Rachel Whiteread (geb. 1963). Und – Überraschung! – Pierre Bonnards Gemälde «La Source ou Nu dans la baignoire» von 1917, die erste Erwerbung eines Werks der klassischen Moderne seit dem Tod des Stifter-Ehepaars.

Hanson und Kiefer
Zwei Dinge sind uns beim Rundgang durch die sehr sehenswerte Schau aufgefallen. Erstens – augenfällig und irritierend – die Anwesenheit der hyperrealistischen Skulpturengruppen des Amerikaners Duane Hanson (1925-1996). Wurden sie aufgestellt, weil der Kurator der Überzeugungskraft der ausgestellten Werke misstraute? Sicher nicht! Oder hielt er es für nötig, mit Hilfe von Hansons sozialkritisch aufgeladenen Inszenierungen die Feier des inzwischen dem bürgerlichen Kunstkanon zugerechneten Sammlungsbestands ironisch zu brechen? Oder ging es bloss darum – wie es im Pressetext heisst – «erstmals überhaupt eine repräsentative Gruppe von Hanson-Skulpturen im Kontext einer Museumssammlung» zu zeigen? Unbestritten ist, dass die Fremdkörper in einzelnen Fällen eine witzige Ergänzung schaffen – zum Beispiel die Mutter mit dem Buggy inmitten von Giacomettis lebensgrossen Figuren. Hansons Bautrupp auf dem Gerüst vor Anselm Kiefers riesigem Werk «Dein und mein Alter und das Alter der Welt» von 1997 beeinträchtigt unserer Ansicht nach dessen Monumentalität in grotesker Weise. Die zweite Auffälligkeit ist die Hängung einzelner Gemälde. Sie sind so locker platziert, dass ganze Wandteile unbespielt bleiben. Das konzentriert zwar die Aufmerksamkeit der Betrachtenden auf das einzelne Werk. Doch fragt man sich im Wissen um den Reichtum der Sammlung, weshalb da und dort nicht noch Platz für die eine oder andere Preziose gewesen wäre. Ist das Magazin wegen vieler Ausleihungen leer? Oder wurden die nicht berücksichtigten Werke als zu wenig publikumswirksam eingeschätzt?

Cover
Der Fondation Beyeler ist es offensichtlich wichtig, ihre Sammlung mit der Jubiläumsausstellung einem breiten Publikum zugänglich zu machen. Dass die Boulevardzeitung «Blick» des kunstsinnigen Verlegers Michael Ringier als «Medienpartner» firmiert, unterstreicht diese Intention ebenso wie das breit angelegte Rahmenprogramm. Die Podcasterin Stefanie Müller-Frank begleitet ab dem 3. November kulturell interessierte Gäste durch die Ausstellung und vermittelt deren Eindrücke unter dem Titel «So gesehen» in Podcasts. Besonders reichhaltig sind die Angebote für Kinder und Jugendliche. Das ganze Begleitprogramm, das natürlich auch kreative Angebote und Führungen für Erwachsene umfasst, ist auf der Website der Fondation Beyeler verfügbar.

Zur Jubiläumsausstellung erschien auch eine Publikation:
Fondation Beyeler, Bouvier, R. (Hrsg.): Fondation Beyeler. 25 Highlights. Riehen/Berlin 2022 (Fondation Beyeler/Hatje Cantz Verlag). 80 Seiten CHF 12.00 in der Ausstellung €18.00 im Buchhandel.

Illustrationen, oben von links: Paul Cézanne: Mme Cézanne à la chaise jaune, 1888-1890, Pablo Picasso: Epoque des Demoiselles d’Avignon, 1907 © Succession Picasso/2022, Pro Litteris, Zürich . Henri Matisse: Nu bleu I, 1952 © Succession H. Matisse/2022, Pro Litteris Zürich. alle: Sammlung Beyeler, Fondation Beyeler Riehen, Foto Robert Bayer, Basel. Mitte Duane Hanson: Lunchbreak, 1989
(vorn) und Anselm Kiefer: «Dein und mein Alter und das Alter der Welt», 1997 (Im Hintergrund). Foto aus der Ausstellung, © 2022 Jürg Bürgi, Basel. Unten: Cover der Ausstellungsbroschüre (Verlagskatalog).

Picasso und El Greco im Kunstmuseum Basel

El Greco-Picasso
Vom 11. Juni bis 25. September 2022 widmet sich das Kunstmuseum Basel dem merkwürdigen künstlerischen Dialog Pablo Picassos (1881-1973) mit dem aus Kreta stammenden Maler, Bildhauer und Architekten Domínikos Theotokópoulos (1541-1614), der unter dem Künstlernamen El Greco als Meister des spanischen Manierismus berühmt wurde. Die Kuratorin Carmen Giménez und ihre Co-Kuratoren Gabriel Dette und Josef Helfenstein und die Co-Kuratorin Ana Mingot zeichnen Picassos langjährige Auseinandersetzung mit dem Meister der Spätrenaissance mit rund 30 Werkpaaren nach. Die Ausstellung belegt, dass sich Picassos Interesse für den Altmeister schon in sehr jungen Jahren etablierte. 1898, nach der Niederlage im Spanisch-Amerikanischen Krieg, welche das Ende der Kolonialmacht Spanien besiegelte, suchte das Land nach einer neuen Identität. Nationalistische und nostalgische Reflexe dominierten in dieser Zeit auch das Kunstschaffen. Der 15-jährige Maler-Eleve Picasso bewegte sich ab 1895 in Barcelona unter Künstlern, die sich an den Meisterwerken der «Spanischen Schule» orientierten. Ihre Vorbilder waren neben El Greco, Diego Velázquez (1599-1660) und Francisco de Goya (1746-1828). Vor allem El Greco, der in seiner eigenen Bildsprache die Traditionen der griechisch-byzantinischen, der venezianischen und der spanischen Malerei vereinigte und durch sein von Geheimnissen umwehtes, bloss spärlich dokumentiertes Leben faszinierte, war für junge, rebellische Künstler ein ideales Vorbild. Die ersten Beispiele von Picassos Faszination für den Griechen stammen aus den Jahren 1898 und 1899. Herausragend: Sein «Bildnis eines Fremden im Stil El Grecos» (1899), das die für El Greco typische lange Schädelform nachahmte. Auch das «Begräbnis des Casagemas (Evokation)», zwei Jahre später als gemalter Nachruf auf den Freund entstanden, nimmt Bezug auf den Meister – und markiert den Beginn seiner von Melancholie geprägten «blauen Periode». War die Auseinandersetzung mit dem Altmeister am Anfang seiner Malerlaufbahn bisher schon fester Bestandteil der Picasso-Exegese, so schlägt die Kuratorin den Bogen viel weiter: Ihrer Ansicht nach war sie intensiver, als bisher angenommen, und hielt sehr lange an. Rückgriffe auf El Greco prägten nicht bloss die kubistische Periode, die einen Schwerpunkt der Ausstellung bildet, kamen bis in die späten Jahre immer wieder vor. Die Reihe reicht bis zum «Musketier» von 1967, einem Strongman in spanischer Tracht, auf dessen Rückseite Picasso seine Bewunderung für die Altmeister El Greco, Rembrandt van Rijn und Velázquez in witziger Weise mit der Inschrift «Domenico Theotocopulos van Rijn da Silva» verewigte.

Beim Rundgang durch die neun Räume der Ausstellung, möchten wir wissen, ob die These stimmt, dass Picasso sich praktisch während seiner ganzen Schaffenszeit immer wieder von Bildern El Grecos hat inspirieren lassen. Das Resultat ist wenig überraschend: Es gibt überzeugende Beispiele, wo die Wahlverwandtschaft frappant ins Auge sticht. Aber es gibt auch zahlreiche Momente, wo der Nachweis scheitert. Dies gilt insbesondere für viele der religiösen Motive El Grecos, die bei Picasso keine Resonanz erzeugen. So zum Beispiel, wenn Picassos Kreuzigungsbild («Die Kreuzigung Christi», 1930) El Grecos «Christus vertreibt die Händler aus dem Tempel» (um 1610/14) zur Seite gestellt wird. Aber die kunsthistorischen Übertreibungen tun der hohen Qualität der Ausstellung keinen Abbruch. Es ist schön, die ausgeliehenen Bilder, sowohl die von Picasso als auch jene El Grecos, in Basel vor unserer Haustür sehen zu können. Und es ist wunderbar, Picassos Werke aus der Sammlung des Museums in diesem Kontext neu zu entdecken. Und besonders gelungen und hilfreich fanden wir die beiden wandfüllenden Zeittafeln, die das Wirken der beiden Künstler in den historischen Kontext stellen. Die ausführliche Chronologie ist auch im Katalog enthalten.

Nachtrag September 2022: Nach sorgfältiger Lektüre der kenntnisreichen Katalog-Aufsätze finden wir keine Anhaltspunkte, die uns unser skeptisches Urteil über die kuratorische These mit Überzeugung korrigieren liesse. Wir verzichten deshalb auf eine ausführliche Besprechung.

Den Katalog zur Ausstellung gibt es in einer deutschen und einer englischen Version. Er enthält Beiträge von Gabriel Dette, Carmen Giménez, Josef Helfenstein, Javier Portús und Richard Shiff: Giménez, C., Helfenstein, J. (Hrsg.): Picasso – El Greco. Berlin 2022 (Hatje Cantz Verlag), 192 Seiten, € 44.00/CHF 50.50

Illustrationen: «Bildnis eines älteren Edelmannes» (El Greco, um 1587/1600), «Jaume Sabartés mit Halskrause und Haube» (Pablo Picasso, 1939)

Meret Oppenheim im Kunstmuseum Bern

plakat-oppenheim
Im Kunstmuseum Bern sind vom 22. Oktober 2021 bis 13. Februar 2022 rund 200 Zeichnungen, Bilder, Skulpturen und Assemblagen aus dem beispielhaft vielgestaltigen Werk von Meret Oppenheim (1913-1985), der «bedeutendsten Schweizer Künstlerin des 20. Jahrhunderts» (Pressetext), zu sehen. Die von Nina Zimmer kuratierte Werkschau unter dem Titel «Mon Exposition» ist offensichtlich darauf angelegt, die Künstlerin in den USA erneut bekannt zu machen. Denn nach Bern, der einzigen Station in Europa, wird sie in der «Menil Collection» in Houston (Texas) und im «Museum of Modern Art» in New York gezeigt. Wer in den letzten Jahren und Jahrzehnten die grossen Oppenheim-Retrospektiven gesehen oder das wunderbare Erinnerungsbuch «Worte nicht in giftige Buchstaben einwickeln» gelesen hat, in dem viele ihrer Briefe und ihr autobiografisches Album «Von der Kindheit bis 1943» greifbar sind, wird kaum Neues entdecken. Für alle aber, die Meret Oppenheims Wirken bisher wenig oder gar nicht kannten, bietet die opulente Berner Schau einen erstklassigen Einblick in ein von Phantasie und Traumgebilden geprägtes künstlerisches Universum.

Meret Oppenheim wurde in Berlin-Charlottenburg als Tochter des deutschen Arztes Erich Oppenheim und seiner Schweizer Frau Eva Wenger geboren. Während des Ersten Weltkriegs lebte sie mit Ihrer Mutter, der Tochter der Malerin und Kinderbuchautorin («Joggeli söll ga Birli schüttle») Lisa Wenger (1858-1941), in Delémont. Nach dem Krieg zog die Familie nach Steinen bei Lörrach, wo Meret die Primarschule besuchte. Die Oberrealschule in Schopfheim, eine Privatschule in Zell im Wiesental, die Rudolf-Steiner-Schule in Basel, ein Mädcheninternat im Schwarzwald und die Oberschule in Lörrach waren weitere Stationen einer bewegten Schulkarriere. 1931 machte sie Schluss damit. Sie wusste, dass sie Malerin werden wollte und wandte sich in Basel dem Kreis junger Künstler um Walter Kurt Wiemken (1907-1940), Walter Bodmer (1903-1973) und Otto Abt (1903-1982) zu, die sich später zur antifaschistischen «Gruppe 33» zusammentaten. Dort befreundete sie sich mit der vier Jahre älteren, bereits Paris-erfahrenen
M.O. mit Irène Zurkinden
Malerin Irène Zurkinden (1909-1987), mit der sie 1932 an die Seine zog. Ihren 19 Jahren zum Trotz machte sie dort im Kreis der jungen Künstler gewaltig Eindruck. Sie schloss Freundschaft mit Alberto Giacometti (1901-1966) und Hans Arp (1886-1966), die von ihrer ungezügelten Kreativität fasziniert waren und sie einluden, ihre Arbeiten im «Salon des Surindépendants» auszustellen. Mit Max Ernst (1891-1976) begann sie im Herbst 1933 eine leidenschaftliche Liebesbeziehung, die sie aber nach weniger als einem Jahr in einem Pariser Café abrupt beendete. Bei dem Treffen im Spätsommer oder Herbst 1934, korrigierte Oppenheim, eine Behauptung des Ernst-Biografen Patrick Waldberg, «sagte ich aus ‹heiterem Himmel› auch aus dem heiteren Himmel meiner Liebe zu ihm: ‹Ich will Dich nicht mehr sehen.› Max Ernst war völlig konsterniert und schwer verletzt.» Erst viel später verstand Meret Oppenheim selbst ihre plötzliche Abkehr vom Geliebten. Es sei ihr «unbewusstes Wissen» gewesen, das sie von Max Ernst, «den ich heiss liebte», weggerissen habe. «Ein weiteres und immer engeres Zusammenleben mit Ernst, einem fertiggebildeten Künstler, hätte mich verhindert, mein eigenes Leben zu leben, es hätte mich gehindert, meine eigene Persönlichkeit zu bilden. Es wäre das Ende dessen gewesen, was ich als mein in der Zukunft zu realisierendes Werk voraussah.» (Zitat aus http://www.silvia-buol.ch/meret-oppenheim/media/pdf/130430_Meret_Oppenheim_und_Max_Ernst.pdf) Max Ernst und Meret Oppenheim blieben freundschaftlich verbunden. 1936, als sie in der Basler Galerie Schulthess ihre erste Einzelausstellung ausrichten konnte, schrieb er den Einladungstext. In die Zeit mit Max Ernst und der intensiven Begegnungen mit den Surrealisten gehört auch die ikonische Aktbilder-Serie, die der Fotograf und Maler Man Ray von Meret Oppenheim machte. Sie prägten das Klischee des freizügigen Surrealisten-Groupies, gegen das sich die Künstlerin zeitlebens wehrte. Tatsächlich führte sie in der Zeit ein «ziemlich ‹wüstes› Leben», wie sie in Erinnerung an einen Traum aus dem Januar 1936 schrieb. Sie befand sich darin in einem «Menschenschlachthaus: Den Wänden entlang bis zur Decke Gestelle auf denen die Körper liegen, einer auf dem anderen. An einem Gestell steht eine Leiter. Ich bin nackt. Ich steige hinauf und lege mich auf den obersten Körper (einen männlichen Körper), und ‹mache die Liebe› mit ihm. Plötzlich richtet er sich auf, stösst ein furchtbares ‹Huuuh› aus und ich spüre, dass er mir mit einer Säge über den Rücken fährt». Den Traum, heisst es in ihren Aufzeichnungen, habe sie sich dahin ausgelegt, «dass es jetzt genug sei».

Meret mit Pelztasse
1936, das war auch das Jahr ihrer ersten künstlerischen Erfolge, das Jahr, in dem sie ihre «Pelztasse» erfand. Der Überlieferung nach sass sie mit Pablo Picasso und seiner neuen Freundin Dora Maar im Café Flore. Meret trug ein metallenes, innen mit Ozelot-Fell bezogenes Armband, das sie für die Modeschöpferin Elsa Schiaparelli (1890-1973) entworfen hatte. Picasso fand, man könne eigentlich alles mit Pelz überziehen, worauf Meret die spassige Bemerkung auf die vor ihr stehende Kaffeetasse ausweitete. Kurz darauf habe sie André Breton, der Häuptling der Surrealisten, eingeladen, an seiner, «Exposition surréaliste d’objets» mitzumachen. Darauf habe sie im Billigwarenhaus Monoprix eine Porzellantasse mit Unterteller und einen Löffel gekauft und alles mit Gazellenfell überzogen. Für die Aussenseite und den Löffel verwendete sie das helle Bauchfell, für das Innere der Tasse, den Löffelstiel und die Untertasse das dunklere, langhaarige Oberfell. Sichtbar blieb das Porzellan nur am Henkel. Ihr Werk nannte die Künstlerin schlich «Objet». Das war Breton zu wenig spektakulär. Er erfand, in Anlehnung an Édouard Manets Bildtitel «Le Déjeuner sur l’herbe» und an die Novelle Leopold von Sacher-Masochs «Venus im Pelz», den Namen «Le Déjeuner en fourrure». Die Debütantin hatte nichts dagegen; die erotischen Interpretationen, die der Titel provozierte, waren von ihr nicht beabsichtigt. Im Gegensatz zur etablierten Kunstszene, welche die Pelztasse bis heute als Schlüsselwerk des Surrealismus feiert, mass ihr die Urheberin nie eine überragende Bedeutung zu. Alfred H. Barr Jr., der Direktor des Museum of Modern Art in New York, war der Erste, der das ikonografische Potenzial der Tasse erkannte. Am 8. August 1936 bat er die junge Künstlerin in höflichstem Französisch, das pelzgepolsterte Geschirr in einer im November in New York startenden Wanderausstellung «Fantastic Art, Dada, Surrealism» zeigen zu dürfen. Die Schau werde auch in «Philadelphia, San Francisco, Boston etc.» Halt machen. Neben der Tasse interessierte ihn auch «Ma nourrice« («Mein Kindermädchen») und das Objekt «Tête de Noyé (3me. état)», ein Stück bemaltes Holz mit einigen Zuckermandeln. Meret Oppenheim liess sich nicht zweimal bitten, zumal Barr vom sorgfältigen Verpacken bis zum Transport mit Versicherung alles organisierte. Ende Jahr schickte Barr einen zweiten Brief nach Paris. Er bot an, die Pelztasse für 1000 Francs zu kaufen und legte gleich einen Scheck über 50 Dollar bei. Meret notierte, dass der Betrag etwa 250 Franken entsprach. Seither ist das «Déjeuner en fourrure» eine Preziose in der Sammlung des MoMA. (Die beiden anderen Ausstellungsstücke gingen an die Künstlerin zurück. Den «Kopf des Ertrunkenen», notierte sie auf Barrs erstem Brief, sei im «Besitz Yves Tanguy» (und ging irgendwann verloren), und auch die «Nourrice» existiere nicht mehr» sei aber «refait pour Stockholm, où il (sic!) se trouve maintenant» (Gemeint ist die erste grosse Retrospektive, die ihr Pontus Hultén 1967 im Moderna Museet ausrichtete.)

Zurück zur Berner Ausstellung: Ihr Titel erinnert an eines der letzten Projekte von Meret Oppenheim, die das Konzept einer ihr gewidmeten Retrospektive selbst entwickelte und 1984 in der Berner Kunsthalle auch ausführte. Beginnend 1929 und endend 1985 folgt die aktuelle Rückschau der vorgegebenen chronologischen Ordnung auf zwei Stockwerken des Museums. In ihren Werken begegnen wir einer selbstbewussten, unabhängigen Künstlerin, die sich mehr von ihren Träumen und ihrer kreativen Intuition inspirieren liess als von einem künstlerischen Programm. Die frühe Prägung durch den Surrealismus ist der rote Faden in diesem Werk, auch wenn die Künstlerin das als oberflächliche Zuschreibung empfand. So sprunghaft sie scheinbar ihren Einfällen folgte, so beständig setzte sie sich mit einigen Konstanten auseinander. Da die Schau keine Schwerpunkte setzt, müssen sie Besucherinnen und Besucher selbst entdecken. Immer wieder setzte sich Meret Oppenheim zum Beispiel mit der Sage von Genoveva auseinander. In der Ausstellung haben wir das Sujet in vier Variationen gezählt: 1939, 1942, 1956 und 1971. Die historisch nicht belegte Geschichte (nicht zu verwechseln mit der Legende von der Heiligen Genoveva von Paris) kreist um die Leiden einer Tochter eines Herzogs von Brabant und Gemahlin eines Pfalzgrafen Siegfried und spielt der Überlieferung nach um 720. Im Zentrum steht die Treue der Genoveva zu ihrem im Kriegsdienst für seinen König abwesenden Ehemann. Aus Frust über ihre Zurückweisung bezichtigte sie der Statthalter Siegfrieds des Ehebruchs mit einem Koch. Der Todesstrafe entging sie nur dank der Barmherzigkeit des Henkers. Sie musste sich in der Folge im Wald verstecken, wo sie mit ihrem kleinen Kind sechs Jahre lang in einer Höhle lebte, versorgt durch eine von der Gottesmutter gesandte Hirschkuh. Die Geschichte, mutmasslich im 14. Jahrhundert zum ersten Mal niedergeschrieben und später in mehreren Versionen erweitert und ausgeschmückt, endet mit Genovevas Befreiung durch Siegfried und die Hinrichtung des intriganten Statthalters.

Genoveva
Was Meret Oppenheim an der Genoveva-Legende besonders faszinierte, war ihre erzwungene Untätigkeit, die Unfähigkeit ihr Schicksal selbst zu gestalten – eine Zwangslage, welche die Künstlerin aus eigener Erfahrung kannte. Denn 1936 war nicht nur das Jahr ihrer ersten Erfolge, sondern auch das Jahr, in dem sie künstlerisch in eine Sackgasse geriet. Finanzielle Probleme kamen hinzu, nachdem ihr jüdischer Vater seine Praxis in Steinen aufgeben und die Familie nach Basel und Carona im Tessin umziehen musste. Auch Meret kehrte 1937 nach Basel zurück. Dort besuchte sie an der Allgemeinen Gewerbeschule die Malklasse und Restaurierungskurse, entwarf Theaterkostüme und Möbel und setzte sich mit den Schriften des Psychoanalytikers C.G. Jung auseinander. Obwohl sie Mitglied der «Gruppe 33» war, fehlte ihr das anregende Pariser Künstler-Milieu. Sie erlebte die 1940er-Jahre als Schaffenskrise. 1949 heiratete sie den aus einer wohlhabenden Basler Familie stammenden Kaufmann Wolfgang La Roche. Die Bekanntschaft kam per Zufall zustande, nachdem Meret im Anzeigenblatt «Baselstab» in einer Chiffre-Anzeige einen Motorradfahrer gesucht hatte, der sie als Mitfahrerin auf seine Ausflüge mitnehmen würde. Schon bald wurde aus Freundschaft eine leidenschaftliche Liebesbeziehung, wie der verspielt-verliebte Briefwechsel der beiden belegt. Im Jahr 1949 heirateten die beiden, und die seit 1942 staatenlose Meret Oppenheim wurde Schweizerin. Die Verbindung mit Wolfgang La Roche, der im Dezember 1967 58-jährig starb, war geprägt von Respekt und gegenseitiger Toleranz, die auch heftige Turbulenzen überdauerte. Spätestens Ende 1954, als sie sich an der Kesslergasse in Bern ein erstes Atelier einrichtete, war ihre selbst deklarierte Schaffenskrise überwunden.
Oppenheimbrunnen
Meret Oppenheim wurde Teil der überaus lebendigen Berner Kunstszene jener Jahre, die, nicht zuletzt dank der avantgardistischen Ausstellungen in der Kunsthalle, weit über die Schweiz hinaus Aufsehen erregte. Ab 1972 arbeitete die Künstlerin nicht nur in der Bundesstadt und in Carona, sondern auch wieder in einem eigenen Atelier in Paris. Es folgen viele Ausstellungserfolge und öffentliche Ehrungen. 1975 erhielt sie den Basler Kunstpreis und 1982 den Grossen Kunstpreis Berlin. Dass sie sich auch als arrivierte und international anerkannte Künstlerin weiterhin zur Avantgarde zählen durfte, machten 1983 die heftigen Kontroversen um ihren Brunnen auf dem Berner Waisenhausplatz deutlich, der wahlweise als «Pfahl der Schande» oder «Pissoir» geschmäht wurde.

1984, 14 Monate bevor sie im Basler Kantonsspital an einem Herzinfarkt starb, eröffnete sie in der Berner Kunsthalle unter dem Titel «Mon exposition» ihre selbst konzipierte Retrospektive, der, wie oben erwähnt, die aktuelle Berner Ausstellung nachgebaut ist. Um sich in der Überfülle der Werke zu orientieren, sind die Erläuterungen in der Broschüre mit den Saaltexten zu den einzelnen Räumen eine sehr gute Hilfe.

Verwendete Zitatquellen: Wenger, L. und Corgnati, M. (Hrsg.): Meret Oppenheim – Worte nicht in giftigen Buchstaben einwickeln. Das autobiografische Album «Von der Kindheit bis 1943» und unveröffentlichte Briefwechsel. Zürich 2013 (Verlag Scheidegger & Spiess).
Meyer-Toss, Christiane. (Hrsg.): Meret Oppenheim – Träume und Aufzeichnungen. Berlin 2010 (Suhrkamp Verlag).

Illustrationen: Plakat «Mon Exposition» im Kunstmuseum Bern 2021/22; Meret Oppenheim und Irène Zurkinden; Meret Oppenheim an der Vernissage ihrer Ausstellung in Duisburg 1972 (akg-images / Brigitte Hellgoth / © 2021, ProLitteris, Zürich); «Genoveva» (1971 nach einem Entwurf von 1942); Brunnen auf dem Waisenhausplatz in Bern (1983).

«Kosmos Kubismus – Von Picasso bis Léger» im Kunstmuseum Basel

Der Portugiese klein
In chronologischer Ordnung dokumentiert die Ausstellung «Kosmos Kubismus» im Kunstmuseum Basel vom 30. März bis 4. August 2019 die von Georges Braque(1882 bis 1963) und Pablo Picasso (1881 bis 1973) ab 1908 angestossene Revolution des künstlerischen Gestaltens. Anders als die 1990 auf Picasso und Braque fokussierte, von William Rubin (1927 bis 2006), dem legendären Direktor des Museum of Modern Art in New York, 1990 kuratierte Schau am gleichen Ort, erweitert die aktuelle Ausstellung das Spektrum in zeitlicher und künstlerischer Hinsicht. 130 Gemälde, Collagen und Skulpturen belegen die lustvolle Kreativität, mit der die beteiligten Künstlerinnen und Künstler die gängigen Qualitätsnormen und die Sehgewohnheiten über den Haufen warfen. Die in Zusammenarbeit mit dem Centre Pompidou in Paris und der Kuratorin Brigitte Léal entstandene und in Basel von Eva Reifert eingerichtete Ausstellung, führt Besucherinnen und Besucher durch einen in neun Kapitel gegliederten Parcours. Er beginnt bei den Landschaftsbildern aus dem heute zu Marseille gehörenden Fischerdorf L’Estaque, das sich seit seiner Entdeckung durch Paul Cézanne (1839-1906) zu einem Treffpunkt zahlreicher Künstler entwickelt hatte. Neben Cézannes südfranzösischen Landschaften beeinflussten afrikanische und pazifische Skulpturen Picassos und Braques Abkehr von der gängigen Kunstauffassung. Mit der schrittweisen Reduktion auf geometrische Formen ging eine Beschränkung des Farbspektrums einher. Grau, Braun und Grün dominieren die kubistische Kunst während Jahren. Nach 1910 tauchen in Braques und Picassos Arbeiten Buchstaben und andere typografische Elemente auf, erstmals in Braques «Der Portugiese» von 1911. Eva Reifert zitiert im Katalog Braques Begründung für die schablonierten Zeichen als «Formen, an denen es nichts zu entstellen gab». Ein eigener Raum ist sodann der Vernetzung der Kubisten mit Verlegern, Sammlern und Dichtern gewidmet, welche die neue Kunstrichtung mit Ankäufen und Auftragsarbeiten förderten.
12022_Delaunay_Prismes klein
Besonders die amerikanische Dichterin und Sammlerin Gertrude Stein (1874-1946), der aus Mannheim zugewanderte Kunsthändler Daniel-Henry Kahnweiler (1884-1979) und der Literat Guillaume Apollinaire (1880-1918), der polnisch-italienische Wurzeln hatte, boten tatkräftige und nachhaltige Unterstützung. In zwei Räumen ist zu verfolgen, wie ab 1912 die Farbe zurückkehrte und wie die Collage eine reale Dreidimensionalität ins Bild brachte. Der Schritt zu skulpturalen Assemblagen aus mannigfaltigen Gebrauchsgegenständen erfolgte wie selbstverständlich – und wirkte lange nach: Der Stierschädel aus einem Velosattel und einem Lenker, den Picasso 1942 zusammenbaute, ist zum Beispiel ein spätes Echo auf die Innovationen, die 30 Jahre zuvor entstanden waren. In den beiden letzten Räumen sind Arbeiten aus den sogenannten kubistischen Salons ausgestellt. Denn die Entwicklung blieb ja nicht stehen. Jüngere Künstlerinnen und Künstler liessen sich von den Erfindern des Kubismus inspirieren und brachten ihn mit eigenen Ideen weiter. Der Ausbruch des Ersten Weltkriegs war nicht nur für zahlreiche Avantgardisten eine Katastrophe, erbeutete auch für das kubistische Schaffen eine tiefe Zäsur. Viele der begabtesten kamen in den Schützengräben um, andere überlebten und mussten sich und ihre Kunst – wie zum Beispiel Fernand Léger – gänzlich neu erfinden.

Die Treppe klein
Wer bedauert, dass die Basler Ausstellung kompakter und konzentrierter daherkommt als die im vergangenen Winter gezeigte Schau im Centre Pompidou Paris, wird ohne weiteres zugeben können, dass sie in der verbliebenen Fülle die eigene Aufnahmefähigkeit durchaus strapaziert. Und wichtiger: Die Präsentation ist für das Kunstmuseum Basel «von zentraler Bedeutung», wie Direktor Josef Helfenstein in seinem Vorwort zum Katalog bemerkt. Denn neben den Highlights der älteren Abteilungen – Holbein und Böcklin – bildet der Kubismus «eine tragende Säule in der Sammlung». Zu verdanken ist die weltweit bekannte Dichte an herausragenden Werken dieser Epoche dem Schweizer Bankier und Mäzen Raoul La Roche (1889-1965), der in den fünfziger und sechziger Jahren des letzten Jahrhunderts einen grossen Teil seiner Kollektion, darunter zahlreiche Werke von Pablo Picasso, Georges Braque und Juan Gris, dem Kunstmuseum schenkte. Die jetzt zusammen mit dem Centre Pompidou entwickelte Ausstellung, schreibt Helfenstein, «bietet die einmalige Gelegenheit, den Kubismus in Basel so umfassend wie noch nie zu präsentieren.» Ohne den soliden Grundstock aus Basel, darf man mit bescheidenem Stolz anfügen, wäre die Dichte der Ausstellung nicht zu erreichen gewesen.

Soll man es bedauern oder sich darüber freuen: Wer den «Kosmos Kubismus» im Basler Kunstmuseum betritt, muss nicht, wie in der fast gleichzeitig in der Fondation Beyeler in Riehen stattfindenden Ausstellung «Der junge Picasso. Blaue und Rosa Periode»
(Besprechung hier) befürchten, an der Kasse Schlange stehen zu müssen und im Innern wegen der Menge der Besucherinnen und Besucher nur hin und wieder einen Blick auf die Kunstwerke erhaschen zu können. Insgesamt muss man – ohne der grossartigen Schau der Fondation Beyeler Unrecht zu tun – der klug arrangierten und in ihrer Fülle überwältigenden Präsentation des Kunstmuseums die nachhaltigere Wirkung zubilligen. Während der Publikumsmagnet in Riehen ohne Zweifel eine grosse kulinarische Wirkung entfaltet, wird die anspruchsvolle historische Präsentation des Kunstmuseums – wie vor knapp 30 Jahren «Die Geburt des Kubismus» – als einzigartiges Erlebnis noch lange nach ihrem Ende nachwirken.

Eine ausführliche Besprechung der Ausstellung und des Katalogs ist
hier im Archiv zu finden.

Der Katalog zur Ausstellung ist eine adaptierte und übersetzte Fassung der Schau im Centre Pompidou, Paris (Herbst/Winter 2018/19).
Léal, B., Briend, Ch., Coulondre, A., Helfenstein, J., Reifert E.: Kosmos Kubismus. Von Picasso bis Léger. München 2019 (Firmer Verlag) 320. Seiten, CHF 49.00/ €49.90.

Illustrationen von oben nach unten: Georges Braque: Der Portugiese (1911/12); Sonia Delaunay: Elektrische Prismen (1914); Fernand Lager: Die Treppe (1914).

Der junge Picasso in der Fondation Beyeler

Auf der Suche nach einer eigenen Bildsprache eignete sich Pablo Picasso (1881-1973), systematisch gefördert von seinem Vater, in den 1890er-Jahren das ganze Spektrum der damals gängigen malerischen Fertigkeiten an. Obwohl überaus erfolgreich, verliess der junge Künstler um die Jahrhundertwende die vorgespurte Karriere und begann, sich malerisch eine eigene Welt zu schaffen. Dabei erlebte Picasso seine Entwicklung durchaus krisenhaft. Der Selbstmord seines Freundes Carles Casagemas, den er auf dem Totenbett porträtierte, setzte ihm schwer zu. Und als er sich 1901, bleich und im schwarzen Mantel, vor blauem Hintergrund selbst darstellte, malte er einen jungen Anarchisten, der aussah, als müsse er das ganze Elend der Welt schultern. In Zusammenarbeit mit den Musées d’Orsay et de l’Orangerie sowie dem
Autoportrait 1901 (Ausschnitt, klein)
Musée Nationale Picasso in Paris zelebriert die Fondation Beyeler in Riehen vom 3. Februar bis zum 26. Mai 2019 die melancholische «blaue» und die auf den definitiven Umzug nach Paris folgende mehr Zuversicht ausstrahlende «rosa» Periode im Werk des jungen Picasso. In seiner chronologisch angelegten Schau zeigt Kurator Raphaël Bouvier in einmaliger Ausführlichkeit 80 grossartige Zeugnisse aus den sechs entscheidenden Schaffensjahren von 1901 bis 1906. Besucherinnen und Besucher können den Wandel vom virtuosen Maler, der sich alle gängigen Stilformen zu eigen machte, zum eigenständigen Künstler nachvollziehen. Besonders eindrücklich ist der Weg im Multimedia-Raum anhand von Selbstporträts zu sehen, die in jenen sechs entscheidenden Jahren entstanden sind – vom feurig-selbstbewussten «Yo Picasso» bis zum skulptural-reduzierten «Autoportrait» vom Herbst 1906, das den Übergang zu dem 1907 entstandenen Werk «Les Demoiselles d’Avignon» ankündigt, das als erstes kubistisches Gemälde gilt. Nicht überraschend präsentiert die Fondation Beyeler vom 13. Januar bis 5. Mai 2019 parallel zum jungen Picasso unter dem Titel «Picasso Panorama» die 30 Werke, die zum Sammlungsbestand gehören. Sie wurden mit Arbeiten ergänzt, welche die Fondation Beyeler als Dauerleihgaben hütet. Um dem Publikum den Zeitgeist der Pariser Bohème nahe zu bringen, wurde das «Café Parisien» eingerichtet (das allerdings nicht mit der von Picasso und seinen Freunden auf dem Montmartre bevorzugt frequentierten Kaschemme «Lapin Agile» zu vergleichen ist.) Jeden Mittwoch verwandelt sich das Lokal im Souterrrain des Museums in ein Variététheater, in dem unterhaltsame und artistische Darbietungen zu sehen sind. (Das ausführliche Programm ist unter der URL https://www.fondationbeyeler.ch/programm/kalender/ abrufbar.)

Eine ausführliche Besprechung der Ausstellung und der Publikationen ist
hier zu finden (und nach Ende der Ausstellung im Archiv).

Zur Ausstellung erschienen drei Publikationen.
Hrsg. Raphaël Bouvier (Fondation Beyeler): Picasso – Blaue und Rosa Periode. Riehen/Berlin 2019 (Beyeler Museum AG/Hatje-Cantz Verlag), 304 Seiten, € 60.00/CHF 68.00. (Der Katalog ist in einer deutschen und einer englischen Ausgabe verfügbar.

Raphaël Bouvier: Picasso. Blaue und Rosa Periode. Riehen/Berlin 2019 (Beyeler Museum AG/Hatje-Cantz Verlag), 56 Seiten, € 12.00/CHF 9.80. (Der kleine Begleitband ist in einer deutschen und einer französischen Ausgabe erhältlich.)

Tasnim Baghdadi und Iris Brugger (Beyeler Museum AG): Der junge Picasso. Blaue und Rosa Periode - interaktiv. Das Kinderheft führt mit zehn unterhaltsamen Aufgaben und Spielanleitungen durch die Ausstellung. Das ausgezeichnet gelungene Heft ist kostenlos bei der Information im Eingangsbereich erhältlich.

Illustration: Pablo Picasso,Autoportrait, 1901 (Ausschnitt), Musée national Picasso-Paris © Succession Picasso/2018, ProLitteris, Zürich. Foto: © RMN-Grand Palais (Musée national Picasso-Paris)/Mathieu Rabeau

Paul Klee – Die abstrakte Dimension in der Fondation Beyeler

Wer bisher glaubte, das riesige, oft ausgestellte Werk des Malers und Kunstlehrers Paul Klee (1879-1940) biete keine Überraschungen mehr, darf sich vom 1. Oktober 2017 bis 21. Januar 2017 in der Fondation Beyeler in Riehen eines Besseren belehren lassen. Anhand von 110 Bildern aus allen Schaffensperioden demonstriert Kuratorin Anna Szech unter dem Titel «Paul Klee - Die abstrakte Dimension» die lebenslange Auseinandersetzung des Künstlers mit dem Gegensatz von Gegenständlichkeit und Abstraktion. Während sich viele seiner Zeitgenossen – Kasimir Malewitsch (1878-1935) und Wassily Kandinsky (1866-1944) reklamierten zum Beispiel beide die Erfindung für sich – verbissen stritten, hielt sich Paul Klee abseits und bewegte sich leicht und spielerisch auf dem polemisch verminten Gelände. Es ist sicher nicht falsch zu behaupten, dass Klees Fähigkeit, auch in abstrakten Gemälden in Farben und Formen Hinweise auf Gegenständliches zu geben und sie so lesbar zu machen, zu seinem Erfolg beitrug.
Porträt aus der Ausstellung
Die Ausstellung, welche sich über sieben Säle erstreckt, zeigt in chronologischer Folge und nach thematischen Werkgruppen geordnet, Klees Arbeit im Spannungsfeld von figurativer und abstrakter Malerei beginnt in München, wo er 1910 schnell Anschluss an die Künstlerszene fand, in der Franz Marc und Wassily Kandinsky den Ton angaben. Der junge Klee liess sich allerdings nicht vereinnahmen. Er kennt auch die Pariser Avantgarde und war von Paul Cézanne ebenso beeindruckt wie von Paul Matisse und Pablo Picasso. Und besonders faszinierten ihn die Farbfeld-Bilder von Robert Delaunay. Für sein späteres Werk von elementarer Bedeutung erweist sich die Reise nach Tunesien, die er 1914 vor dem Kriegsausbruch mit den Freunden August Macke (1887-1914) aus München und Louis Moilliet (1880-1962) aus Bern unternahm. Es ist faszinierend in der Ausstellung zu verfolgen, wie sich der junge Klee zuerst den Formen und dann den Farben zuwendet. Auf der Tunesienreise notiert er euphorisch im Tagebuch: «Die Farbe hat mich. … Ich und die Farbe sind eins. Ich bin Maler.» Der Erste Weltkrieg – die Freunde Macke und Marc fallen 1914, bzw. 1916 – macht dem Überschwang ein Ende. «Je schreckensvoller diese Welt (wie gerade heute), desto abstrakter die Kunst», bemerkt er in dieser Zeit, und fährt fort, «während eine glückliche Welt, eine diesseitige Kunst hervorbringt.» Ein faszinierender Gedanke, dass die Abstraktion dem Jenseitigen, will wohl sagen: der Seelenwelt zuzuordnen ist, während das Bodenständige einer heilen Welt vorbehalten ist. Dürfen wir annehmen, dass sich der in Bern aufgewachsene Paul Klee, der 1916 als Deutscher eingezogen wurde, aber vom Frontdienst verschont blieb, gegen die Schrecken wehrte, indem er während der Kriegsjahre gegenständlich malte: Auf den ausgestellten Werken sind Gärten, Häuser, Kirchen gut erkennbar. Der grösste Raum ist dem Jahrzehnt 1921 bis 1931 gewidmet, in dem Klee nicht nur malte, sondern Staatlichen Bauhaus in Weimar und später in Dessau als Meister lehrte. Auch während dieser sehr intensiven und fruchtbaren Schaffensperiode sind Gegenständliches und Abstraktes immer neben einander als «reichblühender farbiger Vielklang» präsent. Am Ende der zwanziger Jahre und zu Beginn der dreissiger Jahre werden Reisen nach Ägypten und Italien in ähnlicher Weise wie der Aufenthalt in Tunesien zu wichtigen Inspirationsquellen. Sehr eindrücklich sind die pointillistischen Mosaikbilder, die nur sehr selten als Serie gezeigt werden können. Den Schluss der überaus eindrücklichen Schau, die von der Begeisterung und der Expertise der Kuratorin durchdrungen ist, bilden Werke aus der Spätzeit, in der – gleichsam im Schlussspurt – über 2000 Bilder entstanden, die von Zeichen und Buchstaben geprägt sind, in denen aber immer wieder auch menschliche Gesichter und Gestalten erkennbar sind.

Illustration: Paul Klee (Ausschnitt), fotografiert von Felix Klee, 1921 in Possenhofen. © Klee-Nachlassverwaltung, Bern

Zur Ausstellung erschien in einer deutschen und einer englischen Ausgabe eine Publikation mit Beiträgen von Anna Szech, Teodor Currentzis, Fabienne Eggelhöfer, Jenny Holzer, Regine Prange und Peter Zumthor.
Szech, Anna (Hrsg.): Paul Klee – Die abstrakte Dimension. Riehen/Berlin 2017 (Fondation Beyeler/Hatje-Cantz Verlag). 236 Seiten, CHF/EUR 62.50.


Surrealismus in Paris

So breit und reichhaltig sind die Surrealisten bisher in der Schweiz nie präsentiert worden, wie jetzt (vom 2. Oktober 2011 bis zum 29. Januar 2012) in der Fondation Beyeler. Kurator Philippe Büttner, der sich mit dieser fulminanten Schau von seiner langjährigen Riehener Wirkungsstätte Richtung Zürcher Kunsthaus verabschiedet, zeigt die ganze Fülle der von André Breton 1924 angestossenen multimedialen Kulturrevolution. Als sich die Vorgänger-Bewegung Dadaismus in ihrem individualistischen Protest erschöpfte, zielten die Neuerer auf die Veränderung der Gesellschaft: Literatur und Bildende Künste sollten mit Hilfe des Unbewussten die Kreativität befreien und ein modernes Lebensgefühl entwickeln. Kurator Büttner legt seiner Ausstellung das Konzept einer Schau zugrunde, die Breton, Eluard und Marcel Duchamp 1938 in der Pariser Galerie des Beaux-Arts veranstaltet hatten. Sie nannten Sie «La Ville surréaliste», weil sie um 13, von verschiedenen Künstlern gestalteten Schaufensterpuppen gruppiert war, denen teils erfundene, teils echte Strassennamen zugeordnet waren. Die Besucher in Riehen werden denselben Strassenschildern begegnen, die je einem der 14 Räume zugeordnet sind. Es ist verdienstvoll, dass sich der Ausstellungsmacher nicht darauf beschränkte, herausragende Werke der bekanntesten Surrealisten darzubieten, sondern sich bemüht, einen Eindruck von der Breite der Bewegung zu vermitteln. Zwischen Gemälden und Skulpturen der «Bande à Breton» – herausragend: «Capricorne» von Max Ernst zum Auftakt im Foyer, «Peinture» von Joan Miró und «Judith» von Francis Picabia – sind zahlreiche Werke von Künstlern zu entdecken, die heute weniger bekannt sind. Das gilt in besonderem Mass für Hans Bellmer, dessen «Poupée» zu Recht als «vielleicht bedeutendstes surrealistisches Objekt» bezeichnet wird. Aber auch für den Basler Kurt Seilgman (1900 - 1962), der 1939 in die USA emigrierte und dort bekannter ist als in seiner Heimat. 1950 malte er ein Fasnachtsbild in surrealistischer Manier. Eine ausführliche Besprechung der Ausstellung und des Katalogs ist hier zu finden.

Henri Rousseau in der Fondation Beyeler

Blutrünstige Wildkatzen in märchenhaftem Urwalddickicht: Das ist der Stoff, in dem sich nach landläufiger Meinung des Zöllners Henri Rousseau naive Kreativität erschöpfte. Eine Ausstellung von 40 herausragenden Gemälden in der Fondation Beyeler in Riehen belegt vom 7. Februar bis zum 9. Mai 2010, wie einseitig das gängige Vorurteil über den angeblichen «peintre naïf» bei naher Betrachtung ist. Mit der sorgfältigen Gegenüberstellung einzelner Werke führt Kurator Philippe Büttner die Eigenständigkeit des Autodidakten vor, und mit der Einbettung von Rousseaus Oeuvre in das Schaffen seiner Zeitgenossen macht er den grossen Einfluss fassbar, den der «Douanier» auf seine Kollegen ausübte. (Das Bild zeigt einen Ausschnitt aus «Surpris!» von 1891.) Mehr…