Paul Gauguin

Pissarro: Das Atelier der Moderne im Kunstmuseum Basel

Porträt Pissarro vers 1900
Das Kunstmuseum Basel widmet Camille Pissarro (1830-1903), dem einflussreichen Erneuerer der Malerei im 19. Jahrhundert, unter dem Titel «Das Atelier der Moderne» vom 4. September 2021 bis 23. Januar 2022 eine grosse Retrospektive. Die von Christophe Duvivier, dem Direktor des «Musée Camille Pissarro» in Pontoise, kuratierte Ausstellung präsentiert in neun Sälen rund 180 Werke. Das Œuvre Pissarros steht dabei im Mittelpunkt; zu sehen sind aber auch Werke von Künstlerinnen und Künstlern, die zum weit gespannten Netzwerk des besonders zu Freundschaften begabten Malers gehörten, darunter Paul Cézanne, Ludovic Piette, Paul Gauguin, Pierre-Auguste Renoir, Mary Cassatt, Edgar Degas, Claude Monet, Georges Seurat, Paul Signac, sein Sohn Lucien Pissarro und viele andere.

Pissarro, 1830 als Sohn einer ursprünglich aus Portugal stammenden jüdischen Familie auf der damals dänischen Karibik-Insel St. Thomas geboren, begann seine Malerkarriere gegen den Widerstand seines Vaters als 22-jähriger im Schlepptau des dänischen Malers Fritz Melbye in Venezuela. Nach einem kurzen Zwischenhalt bei der Familie, wo er seinen Vater überzeugte, seine Malerkarriere zu akzeptieren, reiste Pissarro 1855 nach Paris. Zunächst als Schüler des führenden Landschaftsmalers Camille Corot (1796-1875), später – auf Drängen des Vaters – auch kurz in der Ecole des Beaux-Arts, suchte der junge Künstler nach seinem eigenen künstlerischen Weg. Unter seinen Zeitgenossen war die Überwindung der sterilen realistischen Ateliermalerei ein ständiges Debattenthema. Die «Schule von Barbizon», um 1830 von Théodore Rousseau (1812-1867) im Wald von Fontainebleau gegründet, galt vielen als Vorbild für die moderne, naturverbundene Landschaftsmalerei. Die Mitglieder der Gruppe skizzierten im Freien und gingen nur zur Fertigstellung ihrer Bilder ins Atelier. Camille Pissarro und einige seiner
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Freunde fanden Anschluss bei der Gruppe, die vom Altmeister Camille Corot (1796-1875) dominiert wurde. Den jungen Neuerern besonders zugewandt erwies sich Charles-François Daubigny, der als einziges Jurymitglied des Salons versuchte, ihnen Ausstellungsmöglichkeiten zu eröffnen. Mit seinem Engagement war allerdings nur selten erfolgreich. Die kollegiale Zusammenarbeit war wohl das wichtigste Charakteristikum der impressionistischen Malerei. In der wunderbaren, didaktisch klug eingerichteten Ausstellung wird augenfällig, wie die Künstler zusammen arbeiteten: Sie wählten ähnliche Sujets und tauschten ihre Ansichten aus. Camille Pissarro war immer mittendrin und prägte die Gruppe mit seinem Geist der Toleranz und des Respekt für die künstlerische Individualität.

So einflussreich Camille Pissarro in seinem Kreis war, so wenig erfolgreich war er als Verkäufer seiner Werke. Anders als einige seiner Freunde, darunter Jean Renoir oder Claude Monet, weigerte er sich, seine Malweise dem Publikumsgeschmack anzupassen. Es widerstrebte ihm, zugunsten des kommerziellen Erfolgs künstlerische Kompromisse einzugehen. In der Ausstellung ist an zahlreichen Beispielen zu sehen, wie revolutionär die Impressionisten den zeitgenössischen Geschmack mit ihrer Malerei herausforderten. Da sie ihre Werke in den offiziellen Verkaufsausstellungen, den «Salons», nicht präsentieren konnten, veranstaltete die Gruppe unter Pissarros Führung als «Société anonyme cooperative des artistes, peintres, sculpteurs, et graveurs» 1874 eine erste Ausstellung. Sie war gewusst als Provokation gemeint und folgerichtig von der Kritik als Schau der «Impressionisten» verunglimpft. Bis 1886 veranstaltete die Gruppe acht Ausstellungen. Camille Pissarro war der einzige Maler, der immer dabei war. Die Beharrlichkeit zahlte sich nicht aus. Er war mit seiner grossen Familie – seine Frau Julie gebar fünf Söhne und drei Töchter, von denen nur eine das Kindesalter überlebte – immer wieder auf Unterstützung angewiesen.

Der Kreativität und der Offenheit für Neues tat das keinen Abbruch. Mit der aus Amerika stammenden Künstlerin Mary Cassatt (1844-1926) und Edgar Degas (1834-1917) erprobt er in den späten 1870er Jahren die Möglichkeiten, die impressionistische Wiedergabe von Lichtreflexen in Radierungen anderen Druck-Techniken einzusetzen. Die lange in Vergessenheit geratene Mary Cassatt ist in der Ausstellung mit fünf Kaltnadelradierungen aus einer späteren Schaffensperiode präsent. Zwei der Arbeiten aus dem Jahr 1891 könnte man schon fast dem Jugendstil zuordnen.

Pissarro hatte die Selbstverwaltung seiner Impressionisten-Freunde auch aus politischen Gründen gewählt. Als überzeugter Anarchist und Bewunderer des Vordenkers Pjotr Kropotkin unterstützte er die Bewegung und agitierte gegen die prekären Lebensverhältnisse der Arbeiterklasse. Seine Überlegungen formulierte er in einer Broschüre mit dem Titel «Turpitudes sociales», die er mit satirischen Zeichnungen illustrierte und seinen Nichten schenkte.

Pissarro Ährenleserinnen
In seinen späteren Jahren wandte sich Pissarro von der reinen Landschaftsmalerei ab und den (arbeitenden) Menschen zu. Nicht mehr Bäume, Büsche und Wiesen spielen in diesen Gemälden die Hauptrolle, sondern die Bewohner dieser Landschaften. Es entstanden eindrückliche Impressionen der jahreszeitlichen Arbeiten der Bauern auf den Feldern rund um seinen Wohnort (seit 1884) Éragny, einem kleinen Dorf im Tal der Oise. Dort entwickelt sich im Austausch mit seinen fünf Söhnen, die alle begabte Künstler sind, die «Schule von Éragny».

Auf seiner letzten künstlerischen Etappe, ab 1893, malte Camille Pissarro mit Vorliebe Stadtlandschaften. Erstmals kann er es sich leisten zu reisen. Er mietet Wohnungen in verschiedenen Städten, von deren Fenster aus er das Leben auf den Strassen beobachtet und malt, zum Teil dasselbe Motiv zu verschiedenen Tageszeiten. Besonders faszinieren ihn Häfen, die er in Dieppe, Rouen und Le Havre abbildet.

Auch wer sich weniger für die Details der impressionistischen und neoimpressionistischen Malweise interessiert, wird das grossartig präsentierte Panorama von Camille Pissarros Werk und seines «Atelier der Moderne» als grossen Kunstgenuss erleben.

Zur Ausstellung erschien ein sowohl mit aufschlussreichen Texten als auch mit üppiger Illustration auftrumpfender Katalog in je einer deutschen und einer englischen Version.
Helfenstein, J. und Duvivier, Chr.: Camille Pissarro: Das Atelier der Moderne. München 2021 (Prestel Verlag). 336 Seiten, CHF 59.00.

Eine ausführliche Besprechung der Ausstellung und des Katalogs
ist hier zu finden.

Illustrationen: Camille Pissarro um 1900 (Fotograf unbekannt), Camille Pissarro; Côte des Boeufs, Pontoise (1877), Camille Pissarro: Les Glaneuses (1889). Dieses Bild, das bisher als Leihgabe zur Sammlung gehörte, wurde dem Museum kurz vor Ausstellungseröffnung geschenkt.

Paul Gauguin in der Fondation Beyeler

Gauguin 1903
Als sich Paul Gauguin 1903 auf der Marquesas-Insel Hiva Oa, seinem zweiten Fluchtort in der Südsee, selbst porträtierte, war er schon todkrank. Die Nebenwirkungen seiner Syphilis und seiner Alkoholsucht bekämpfte er mit Morphium. Mehrfach hatte er versucht, sich mit Arsen zu vergiften. Die Bilder aus dieser Zeit zeugen von der depressiven Stimmung des Malers, der sich in seinen letzten Monaten mit den strafrechtlichen Folgen seiner Streitsucht herumschlagen musste. Es ist zu loben, dass Martin Schwander und Raphael Bouvier, die Kuratoren der Ausstellung «Paul Gauguin», die vom 8. Februar bis zum 28. Juni 2015 in der Fondation Beyeler in Riehen ein halbes hundert herausragende Gemälde präsentieren, zu Beginn und zum Schluss des Parcours ausführlich über die biografischen und künstlerischen Eigentümlichkeiten Paul Gauguins informieren. Vor allem die Verbindung von Einzelwerken und ihren biografischen Begleitumstände – Erläuterungen des Künstlers, Briefzitate – ist technisch brillant umgesetzt. Das ist auch nötig, denn aus den Exponaten allein ist nicht ersichtlich, dass wir beim Betrachten der Bilder einen Spätberufenen bei der Suche nach seiner Bestimmung beobachten. Gauguin, nach einer Jugend in seinem Mutterland Peru, wurde zunächst Seemann; später lebte er mit seiner dänischen Frau und fünf Kindern als Börsenmakler in wohlhabenden Verhältnissen – bis er sich mit 35 entschloss, Maler zu werden. Der Übergang von Bourgeois zum Bohémien bedeutete Ausstieg und Abstieg in Raten. Die Ausstellung beginnt mit Werken vom Ende der 1880er Jahre, die in der Bretagne entstanden und religiösen Themen gewidmet sind. Seine Frau war schon 1884 mit den Kindern zu ihren Eltern nach Kopenhagen umgezogen.1891 machte sich Gauguin vom bretonischen Pont-Aven aus, wo er jungen Malern – darunter Pierre Bonnard – ein Vorbild war, erneut auf die Suche nach einem Sehnsuchtsort. Mit dem Erlös aus der Versteigerung seiner Werke schiffte er sich nach Tahiti ein, wo er nicht nur ein naturnahes, sondern auch ein billiges Leben zu führen hoffte. Hier entstehen seine bekanntesten Bilder, mit denen er die üppige Vegetation und die natürliche Lebensart der Menschen feiert. Die Wirklichkeit sah allerdings anders aus. Abgeschnitten vom weit entfernten Kunstbetrieb gestaltete sich der Alltag viel schwieriger als gedacht. Zwar lebte er bald mit blutjungen Gefährtinnen zusammen, doch die Geldnot bestimmte sein Leben so sehr, dass er zuweilen gezwungen war, Aushilfsjobs anzunehmen. Zudem legte er sich alsbald mit der Kolonialverwaltung und dem katholischen Klerus an, weil er sich für die einheimischen Maohi einsetzte und sie unter anderem zum Steuerstreik anstachelte. Die Bilder sprechen nicht davon. Sie sind vielmehr Zeugnisse einer mentalen Flucht aus der Wirklichkeit. Sie evozieren Szenen aus dem täglichen Leben und aus der polynesischen Mythologie. 1893 war Gauguin, völlig mittellos und krank, gezwungen, auf Staatskosten nach Paris zurück zu reisen. Doch seine Situation besserte sich nicht: Ohne Erfolg stellte er seine Bilder aus und versuchte 1895 mit einer zweiten Auktion zu Geld zu kommen. Gleichwohl brach er im Juli 1895 erneut nach Polynesien auf. Die Arbeiten aus dieser zweiten polynesischen Schaffensperiode gipfeln im monumentalen Grossformat «Woher kommen wir? Wer sind wir? Wohin gehen wir?».Es entstand 1897/98 in nur vier Wochen als eine Art Lebensbilanz. Sein Zustand war zu der Zeit verzweifelt, seine Gesundheit ruiniert. Trotzdem arbeitete er, so gut es ging, weiter. 1901 verliess er Tahiti, um sich auf einer der 1400 Kilometer entfernten Marquesas-Inseln niederzulassen. In der Ausstellung sind sieben Bilder aus dieser Zeit zu sehen; sie zeigen bereits bekannte Motive, ohne dass sie die Intensität der früheren Arbeiten erreichen.

Eine ausführliche Besprechung der Ausstellung und des sehr schön gestalteten Katalogs und der darin enthaltenen Aufsätze steht
hier.